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Kommt ein Mann ins Zimmer (German Edition)

Kommt ein Mann ins Zimmer (German Edition)

Titel: Kommt ein Mann ins Zimmer (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicole Krauss
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Regierung.» Hundert Millionen Dollar, hatte Ray ungerührt gesagt, leichthin, als schnipste er einen Penny in den Brunnen. Ein bisschen was von der Regierung in Form eines Zuschusses aus dem Verteidigungsetat, der Rest von privaten Investoren: gerade einmal so viel, wie zwei Hollywoodfilme kosten. «Und er will nicht mit meinem Gehirn spielen. Er will es studieren.» Ray hatte eine Art, über seinen Fall zu sprechen, wie ungewöhnlich, wirklich bemerkenswert er sei, die Samson ein wenig die Brust schwellen ließ vor Stolz auf sein medizinisches Dossier, sein beschädigtes Gehirn, auf die ganze verfluchte Geschichte eines Zustands, der nebenbei auch sein Leben zerstörte, von Annas ganz zu schweigen, aber den er überlebt hatte, intakt und geradezu – wie Ray nicht direkt sagte, aber zu implizieren schien – begabt.
    «Winn, komm runter bitte, ja?» Lana wandte sich Samson zu. «Winn ist einer, der sein Leben auf Misstrauen baut, auf ein abgrundtiefes Misstrauen gegen jede Form von Autorität. Gegen – wie würdest du sagen, Winn? – jede zentralisierende Gewalt. Was zur Folge hat, dass er manchmal» – sie sah Winn an – «leicht paranoisch ist.»
    Winn wollte protestieren, aber ihr Ausdruck hielt ihn zurück. Kein Ausdruck der Strenge, sondern der Liebe, jener zärtliche Blick einer ungewöhnlich schönen Frau, die dich nicht lieben sollte, es aber tut, der einen Mann zum Schweigen bringen kann. Das Abendlicht fiel auf ihr an den Wurzeln speckig blondes Haar. Irgendwo in oder genau hinter der Stadt ging die Sonne unter, am Wüstenrand, wo leere Straßennetze mit unbeschrifteten Schildern auf die Metropole warteten.
    «Also», sagte sie, und die Geschichte begann zum dritten Mal, wieder etwas anders: «Dieser Typ, dieser Dr.   Malcolm, ruft dich an. Er bittet dich, nach L.A. zu kommen, und bietet dir eine ganze Menge Geld …»
    Ehe sie ins Auto stiegen, machte Samson ein Foto von den beiden. Sie standen nebeneinander, die Lotterieanzeige hinter sich, Wingates Arm um Lanas Taille. Genau in dem Moment, als er den Auslöser drückte, donnerte ein Sattelschlepper vorbei und verdeckte den Rattenschwanz der Nullen, einen Streifen Ungewissheit wie eine Fahne hinter sich her ziehend.
    Auf dem Rückweg hielten sie an, um einen kleinen Menschenauflauf vor einem Einkaufszentrum zu beobachten. Seitwärts geparkte Autos, aufgerissene Türen, Leute, die auf Zehenspitzen schwankten, mit sanfter Gewalt von Sicherheitskräften zurückgedrängt. Die Gruppe war nicht groß, die Körperdichte gerade ausreichend, um sie als Menge zu bezeichnen, aber weit davon entfernt, eine schäumende Masse zu ergeben, deren Stimmen sich, aufgeputscht von Adrenalin, zu einem einzigen elektrisierten Geschrei verbinden könnten, die fähig wäre, Menschen bei lebendigem Leibe totzutrampeln. Alle – die Menge, die Sicherheitskräfte und der verflossene Star, der schließlich in einer geschlossenen Limousine anrollte – schienen sich dem gewohnten Ablauf hinzugeben, als hätten sie geschworen, um jeden Preis die Illusion des Ruhmes aufrechtzuerhalten, ohne den die Stadt brutal in Traurigkeit und Banalität versänke. Der alternde Rockstar stieg aus dem Wagen. Er hob die Arme, presste die Hände zusammen und schüttelte die Fäuste. Er wand und drehte sich einige Male, und die Leute johlten und drängten spielerisch an den Sicherheitskräften vorbei, die ein paar von ihnen durchließen, seinen Mantelsaum zu berühren.
    «Mein Gott, sieht der erbärmlich aus.»
    «Wer ist das?»
    «Billy Joel.»
    «Du machst Witze. Autsch», sagte Samson.
    Winn schüttelte den Kopf. «Ich kann das gar nicht mit ansehen», sagte er. «In meinem Schulchor in der Siebten haben wir ‹Piano Man› gesungen. Ich habe richtig für den Typ geschwärmt.»
    «Du, für Billy Joel geschwärmt ?» Lanas Augen weiteten sich in spöttischem Entsetzen. «Jetzt kommt die Wahrheit heraus.»
    «Ein paar Wochen, ja. Komm, sag bloß nicht, ‹Captain Jack› sei kein guter Song.»
    Lana zog die Augenbrauen hoch und wandte sich um zu den letzten paar in Trübsal gesunkenen Gestalten.
    Das Spektakel dauerte knapp zwei Minuten, dann verschwand Billy Joel in dem Mega-Plattenladen, und die schlappe, pflichtbewusste Menge zerstreute sich; es blieben nur die schwenkenden Spotlights, in alter Treue immer noch auf der Suche nach Billy Joel, an Orten, wo sie ihn nie finden würden: hinter den Fenstern umliegender Häuser, unter Autos, in leeren Himmelsausschnitten. «Und ‹She’s Got a

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