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Kommt ein Mann ins Zimmer (German Edition)

Kommt ein Mann ins Zimmer (German Edition)

Titel: Kommt ein Mann ins Zimmer (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicole Krauss
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zeichnen und Sehenswürdigkeiten identifizieren.
    Stattdessen sagte er: «Ich war Lanas Professor an der Columbia.»
    Wingate nickte, schien aber kaum beeindruckt. Er sprang auf und drehte an der Lautstärke des Radios. Vorgebeugt ließ er die Hand auf dem Kasten. Hier ist die Stimme der laotischen Gemeinde: Halten Sie die Ohren offen und den Sucher links.
    «Mist. Ich dachte, es käme was anderes.»
    Sie hörten ein paar Minuten lang einem mit schwerem Akzent Englisch sprechenden Mann zu, der über ein Hochwasser am Mekong berichtete, dann stellte Wingate das Gerät ab.
    «Was ist mit dem Radio passiert?»
    Wingate nahm den verbeulten Kasten und öffnete das Batteriefach, als wäre die Antwort darin versteckt. «Es ist nur ein alter Transistor, den ich auseinander gebaut und wieder zusammengesetzt habe. Ich wollte schauen, ob ich diesen Piratensender bei Pasadena kriege.» Einer von denen, dachte Samson, die alles zerlegen, um zu sehen, wie es verdrahtet ist. Die erst Pennys zum Plattfahren auf die Eisenbahnschienen legen und am Ende an den Knöpfen für Atombomben sitzen.
    «Dieser Typ schickt sein Signal an eine Fünfzig-Meter-Antenne, die er auf dem Hausdach hat, und dann wird es verstärkt ausgestrahlt und auf UKW gesendet. Auf einer freien Frequenz, genau vor der Nase der Kontrollbehörde. Sie haben ihn auffliegen lassen, aber er hat einfach eingepackt und ist mit seiner Anlage ein paar Blocks weiter gezogen.»
    «Was sagt er denn, wenn er auf Sendung ist? Scheint ja ein großer Aufwand zu sein.»
    Wingate zuckte die Achseln. «Er ist Anarchist. Ein Typ, der sein Ding durchzieht, aus Prinzip. Es gibt jede Menge Leute, die das machen; das Zubehör kann man übers Netz bestellen. In Florida sitzt ein Kid, der fünfzehn Stunden am Tag Anleitungen sendet, wie man Sachen in die Luft sprengt. Er ist ein Freak, aber meistens sind es Antikapitalisten, die die gesellschaftliche Kontrolle aushebeln, die geballte Macht der Medien aus dem Untergrund aufmischen wollen. Leute, die für offene Systeme leben.»
    In der Wüste zelten Hippies an den heißen Quellen, hatte Ray gesagt. Sie plantschen splitternackt herum, während die Hochspannungsleitungen über ihren Köpfen knisternd Strom durchs Tal befördern. Während die Militärs eine M-16-Ladung nach der anderen in den Dreck schießen. In der Wüste bilden Militärs und Anarchisten eine Art perfektes Gleichgewicht, die ganze Skala der Werturteile. Die übrigen warten dort ab, bis ihre Zeit gekommen ist: die mexikanische Bundesarmee, abgetaucht wie Che in Bolivien, um Guerillataktik zu üben und am Ende Kalifornien zurückzuerobern; der japanisch-amerikanische Arm der Yakuza, die Farbpistolen fürs Blitztraining im Gepäck; Skinheads, die im Schatten der Panamints Kundgebungen proben. Einzelgänger, die auf die Apokalypse warten.
    Wingate wirbelte herum und begann, in die Tasten des Computers zu hauen. Er suchte etwas im Netz, eine Website, die er Samson zeigen wollte, während Samson sich ein zartes Gewebe aus Licht und Glas vorstellte, schimmernd und durchsichtig, sich kreuzend und dehnend, gegen Unendlich strebend. Einmal, als er klein war, hatte er ein Knäuel Garn genommen und die Wände ringsum der Länge nach bespannt, den kleinen Vorraum zwischen zwei Zimmern in eine Menschenfalle verwandelnd, in die seine Mutter fröhlich hineingelaufen war.
    Er starrte von hinten auf Wingates verfilztes Haar, und einen Augenblick setzte sein Geist aus, er hatte das Gefühl, sich nicht mehr erinnern zu können, wie er in das dunkle Schlafzimmer gelangt oder wer Wingate war, woher er ihn kannte. Laut, als versuchte er selbst, seine Stimme über Vakuumröhren zu senden, erklärte Samson, er verstehe so gut wie gar nichts von Computern. Allerhöchstens könne er Signaturen in der Bibliothek aufrufen. Er habe den Computer in seinem Büro an der Columbia nicht einmal angestellt. Eine Frage des Schalters, den er nicht gefunden habe.
    Wingate blinzelte. Es war merkwürdig, wie die Einwürfe einer anderen Person ihn zu verwirren schienen, wenn er sich einmal in Fahrt geredet hatte. Als wäre das Gespräch keine angeborene Fähigkeit, sondern etwas, was er unbeholfen zu imitieren gelernt hatte, wie ein Affe in Gefangenschaft, dem beigebracht worden ist, sich durch Gebärden zu verständigen und Küsschen zu geben, der aber ein Zwitterwesen bleibt.
    «Welches ist das letzte Jahr, an das du dich erinnerst?», fragte er.
    «Neunzehnhundertsechsundsiebzig.»
    «Verdammt.» Wingate pfiff

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