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Kommt ein Mann ins Zimmer (German Edition)

Kommt ein Mann ins Zimmer (German Edition)

Titel: Kommt ein Mann ins Zimmer (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicole Krauss
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Schädel und setzten ihm einen Helm auf den Kopf. Sie schlossen die fünfzig Kilo schwere Stahltür, und er saß allein im Dunkeln, seinen Gedanken überlassen. Er hörte auf die Anweisungen, die aus den Lautsprechern kamen. Es war irgendwie erregend, Gegenstand so inniger Aufmerksamkeit zu sein: zu wissen, dass hinter den Stahlwänden ein ganzes Team von Wissenschaftlern zugeschaltet war und die Ströme seines Gedächtnisses, die Wanderungen seiner Gedanken durch die Hemisphären seines Gehirns verfolgte. Manchmal kamen sie herein, um eine lockere Elektrode zu befestigen. Sie legten ihre Hände auf seinen Kopf, als erteilten sie ihm einen Segen.
    An anderen Tagen inhalierte er etwas Radioaktives und lag dann im Bauch einer Maschine, die Aufnahmen von der Gammastrahlung mit Elektronen kollidierender Positronen machte, während die Substanz durch sein Großhirn zog. Später zeigten sie ihm die Bilder, doch obwohl er sie gründlich betrachtete, fand er keine Spur des leeren Feldes, zu dem er immer wieder Zuflucht gesucht hatte, seit er zu seinem neuen Leben erwacht war. Einmal, als er aus dem kühlen dunklen Labor in die Hitze der Wüstensonne trat, hatte er sich kurz gefragt, ob die so streng von ihm gehütete Leere gar nicht die Abwesenheit jeglicher Erinnerung, sondern selbst eine Erinnerung war: eine Erinnerung an das leuchtend weiße Potential, das vor seiner Geburt existiert hatte. Die Leere, über die ein Neugeborenes in den allerersten Momenten verfügt, wenn die Bewusstwerdung beginnt wie die Antwort auf eine nie gestellte Frage.
    Wenn er im Labor nicht gebraucht wurde, wanderte er mit einem naturkundlichen Bestimmungsbuch in die Berge, versuchte Pflanzen zu identifizieren und Spuren zu lesen, von Gletschern gerillte Felsen zu finden, wobei er jeden Tag ein wenig weiter ging und seinen Pfad mit Steinen markierte. Er wusste nicht, was ihn das erste Mal in die Wüste gebracht hatte – ja nicht einmal, ob es tatsächlich das erste Mal gewesen war, als die Polizisten ihn aufgelesen hatten, einen Mann ohne Vergangenheit, der halb tot in der Mittagssonne die Straße entlangging. Höchstwahrscheinlich war er zufällig dorthin gelangt, und wenn ja, musste es ihn erleichtert haben, als die letzten Häuser zurückblieben und er sich in einer so weiten Leere wiederfand, in eine Landschaft einzutauchen, die sein Gedächtnis nicht beschwerte, sondern es an Vergessenheit übertraf. Vielleicht war er dankbar schwächer geworden, um schließlich dem verbrannten Bild seines eigenen Bewusstseins zu begegnen. Oder er hatte mit all den Erinnerungen auch sein Ichgefühl verloren, sodass er zwischen sich und der Welt nicht mehr unterscheiden konnte und es ihm auf seinem Weg in die Wüste so erschienen war, als ginge er glatt in sie ein. Vielleicht war der Blick, den die Polizisten für ausdruckslos gehalten hatten, die Ekstase absoluter Freiheit gewesen, eins mit dem Wetter. Doch im letzten Moment, bevor er sich in Nichts auflöste, hatten sie ihn an einer Kette zurückgeholt, bis er im geschlossenen Loch seines Gedächtnisses erwacht war, im Bewusstsein nur eine Uhr an der Wand, die 3   :   30 zeigte.
    Abends besuchte er Ray manchmal im Büro. Meistens fand er den Doktor gedankenverloren vor dem Computer. Zu jeder anderen Zeit war Ray hellwach, ein Mann, der immer gespürt hatte, dass er intelligenter war als der Rest, der gelernt hatte, fast unmerklich zu lenken, was um ihn her geschah. Es gefiel Samson, ihn so ungeschützt anzutreffen; er fühlte sich ihm dann näher. Einmal hatte Ray sich lange nicht gerührt, nachdem er hereingekommen war, so lange, dass Samson sich allmählich fragte, ob er ihn überhaupt bemerkt hatte.
    «Ray?»
    Der Doktor drehte sich um. «Samson. Entschuldigung, ich will eben noch diese E-Mail fertig schreiben. Geht an einen Kollegen in San Diego», sagte er, während seine Finger über die Tasten ratterten. «Komischer Kauz. Weiß alles über den Hippocampus. Der Weltexperte des Hippocampus. Weiß mehr über einen Wulst in den Seitenventrikeln des Gehirns als über seine eigenen Kinder.» Er lehnte sich zurück und tippte mit einem Pianistenschnörkel ein letztes Mal auf die Tastatur. «Das war’s. Fertig.» Er deutete auf den Stuhl, der ihm gegenüber am Schreibtisch stand. «Setzen Sie sich, Samson. Freut mich, dass Sie vorbeigekommen sind. Heute Nachmittag habe ich über etwas nachgedacht, und dabei kamen Sie mir in den Sinn.»
    «Nachgedacht worüber?»
    «Die alten Gedanken. Das ganze Thema der

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