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Kommt ein Mann ins Zimmer (German Edition)

Kommt ein Mann ins Zimmer (German Edition)

Titel: Kommt ein Mann ins Zimmer (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicole Krauss
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arrangieren?»
    «Hör auf mit dem makabren Zeug», sagte Samson in Donalds Hawaiihemd.
    «Du bist mein nächster Verwandter, Sammy. Wer sonst, wenn nicht du?»
    Donald entließ ihn aus der ungestümen Umarmung, rollte den lustigen kleinen Koffer über den Weg und stopfte ihn ins Taxi, dann salutierte er zu Samson hin und verbeugte sich in alle Himmelsrichtungen. Samson stand auf den Stufen vor dem Badehaus, Donalds verknickte Geschäftskarte mit einer Adresse in Phoenix und der Nummer einer Mailbox in der Hand, und fühlte sich elend, während er das Taxi über die staubige Zufahrt holpern und auf die Teerdecke abbiegen sah.
     
    Mit nichts oder fast nichts neu anfangen, und doch, ein Anfang musste sein. Zum ersten Mal, seit er im Krankenhaus erwacht war, verspürte Samson den Wunsch, zu beenden, was er begonnen hatte. Nicht, dass Ray ihn eingelullt oder ihm sein Einverständnis abgenötigt hatte; es gab Gründe, warum er sich freiwillig für den letzten Teil des Versuchs zur Verfügung stellen wollte. Einmal schmeichelte ihm Rays Anfrage und gab ihm ein wenig das Gefühl, etwas Besonderes zu sein: ein kleiner Teil der Geschichte, auf unbekannten Wegen, die nie ein Mensch gegangen war. Und er wusste mit dem gleichen traurigen Bedauern, das ein Kind bei seinem ersten Vergessen empfinden mochte, dass neue Erinnerungen – Erinnerungen an alles, was seit seinem Erwachen im Krankenhaus geschehen war – schon begonnen hatten, auf die Leere in seinem Gehirn überzugreifen: er war im Begriff, sie zu verlieren, jeden Tag ein bisschen mehr. Doch zu guter Letzt willigte er hauptsächlich deshalb ein, weil er bereits beschlossen hatte, keinen Rückzieher zu machen: ihre Gespräche zu Ende zu bringen.
    Sie waren noch Jahre von der Möglichkeit entfernt, ein ganzes Gedächtnis von einem Gehirn in ein anderes zu verpflanzen, aber Ray erklärte, sie seien zu diesem frühen Zeitpunkt immerhin in der Lage, etwas Einfaches zu übertragen. Vielleicht würden es nur statische Fragmente sein oder der Schwindel erregende Eindruck, sich an ein Gedächtnis zu erinnern, das jemand anderem gehört habe. Als Ray ihn schließlich unumwunden fragte, ob er sich als Freiwilliger für die erste, wenn auch dürftige und unvollständige Übertragung zur Verfügung stellen wolle, wussten sie beide, dass die Frage bereits überflüssig war.
    Werden Sie es tun? , fragte Ray, und die ganze Wüste wartete darauf, die unvermeidliche Antwort zu empfangen. Ja , antwortete Samson, ja.
    Irgendwann war der Punkt erreicht, wo es nur noch das offensichtliche Ende seiner Zeit in der Wüste war. Der Abschluss eines Jahres, auf das er vielleicht als ein Scharnier, einen Angelpunkt zwischen zwei Leben zurückblicken würde. Oder nicht: Vielleicht würde er irgendwann einmal, wenn genug Zeit vergangen war, sein ganzes Leben als eine Serie logischer und zusammenhängender Ereignisse betrachten.
     
    An diesem Maimorgen wachte er früh von dem aufs Dach trommelnden Regen auf, und innerhalb von Minuten kam es sturzartig herunter. Samson stolperte aus dem Bett und öffnete die Tür. Das Licht wirkte metallen, Blitze durchzuckten den Himmel, erleuchteten die Wüste. Der Donner prallte an den Bergen ab und kam rollend als Echo zurück. Da der Boden die Regenmenge nicht so schnell aufnehmen konnte, bildeten sich Rinnen, die das Wasser rasch in Speicher tief unter der Oberfläche abführten. Samson dachte an die Jugendlichen, die zweihundert Kilometer weiter nördlich in unterirdischen Becken getaucht hatten und nicht wieder aufgetaucht waren, an die Verzweiflungstränen der Freundin des einen, als die Retter tiefer und tiefer tauchten, aber den Grund nicht fanden. Dann hörte der Regen ebenso plötzlich auf, wie er begonnen hatte. Die Sonne kam heraus, und der Himmel spiegelte sich wie Quecksilber in den Pfützen, für einen Moment lang stand die schockierte Wüste still.
    Eine Stunde später lag Samson voll verdrahtet in der Dunkelheit. Die Drogen, die sie ihm gegeben hatten, sickerten ihm langsam ins Blut, obwohl er nicht sagen konnte, ob seine Gedanken dadurch angeregt oder verschwommener wurden. Ab und zu kam Rays Stimme über den Kopfhörer und sagte ihm, sie seien fast fertig, fragte, wie er sich fühle, plauderte über das Wetter draußen. Die Stimme klang von Mal zu Mal ein wenig ferner, als müsste sie eine immer größere Distanz überwinden, um ihn zu erreichen, und die Worte verloren ihre Bedeutung, bevor Samson sie gar nicht mehr hörte. Es fühlte sich an,

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