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Kommt ein Mann ins Zimmer (German Edition)

Kommt ein Mann ins Zimmer (German Edition)

Titel: Kommt ein Mann ins Zimmer (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicole Krauss
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erinnerte sich an die knallende Wüstenhitze, an den Schweiß, der sich unter der Drillichuniform auf seiner Haut bildete. Er empfand die Langeweile und die dumpfe Furcht des Wartens, in den Staub atmend und darauf bedacht, sich so wenig wie möglich zu bewegen. Er sah die sonnengebräunten Gesichter seiner Kameraden, sah ihre Profile in der Sonne flimmern. Und dann das widerstrebende Aufstehen vor dem Morgengrauen, wie kalt der Boden war, und die Lust, wieder ins Bett zu kriechen, obwohl er schon in der Schlange vor den Duschen stand. Der metallische Wüstengeschmack in seinem Mund. Unter dem fließenden Wasserstrahl begann das Herz schneller zu schlagen, Blut durchströmte die Venen. Kein Frühstück, dafür gingen umso mehr Zigaretten um, die glühenden Spitzen hinten auf den Lastwagen. Er sah und empfand das alles wie seine eigene Erinnerung, aber verdammt , sie war es nicht, und das machte ihn krank, kränker noch als die Druckwellen, deren Stärke und Hitze geradezu darauf ausgelegt schienen, jeden verrückt zu machen, den sie nicht umbrachten.
    Als er nach der Übertragung aufgewacht war, hatte Ray über ihm gestanden. Ray hatte ihm Fragen gestellt, und er hatte versucht zu antworten, so angeschlagen von den Drogen, dass ihm erst gar nicht in den Sinn gekommen war, wütend oder auch erschrocken zu sein; er fühlte sich nur betäubt. Er versuchte, die Lebhaftigkeit zu vermitteln. Er sprach in Halbsätzen, stotternd und nach Worten suchend. Ray fragte, und er rang um eine Antwort, aber es war unmöglich zu beschreiben. Er hatte Schwierigkeiten zu sprechen, und sie zeichneten mit einer Digitalkamera auf, wie er den Doktor mit aufgerissenen Augen am Handgelenk packte und sagte: Wer? Jemand hatte ihn ins Badehaus zurückgebracht, und er war erschöpft eingeschlafen, aber als er am nächsten Tag aufwachte, war alles wieder da, hell und präsent in seinem Kopf, der Countdown und die erschütternde Explosion. Es war da, während er sich das Gesicht wusch und sich anzog, und obwohl er versuchte, es zu verdrängen und an etwas anderes zu denken, vermochte er es nicht.
    Er war hinausgegangen, um mit Ray zu sprechen, denn jetzt war er bereit – jetzt hatte er eigene Fragen –, doch als er ins Labor kam, sagte ihm die Empfangsdame, der Doktor sei fort, abgereist, und werde erst in ein paar Tagen zurückerwartet. Samson hatte sie fassungslos angesehen, und sie musste es wiederholen, Wort für Wort, sodass er sie nicht missverstehen konnte. Als die Verwirrung sich legte, fühlte er den ersten Stich, eine Erregung im Bauch, die langsam aufstieg bis zu wütender Hitze im Gesicht. Er kehrte in sein Zimmer zurück und versuchte nachzudenken – es war nur eine Erinnerung, sonst nichts, er würde sie vergessen wie den Rest. Aber dem war nicht so. Er konnte sie nicht nur nicht vergessen, sondern sie hatte obendrein noch andere Erinnerungen aufgewühlt, Fernsehbilder von einem eingeebneten Hiroshima, die er mit fünf oder sechs gesehen und die ihn im Schlaf verfolgt hatten, bis er schreiend aufwachte und seine Mutter kommen, ihn besänftigen, ein feuchtes Tuch auf seine Stirn pressen musste. Danach hatte er sie tagelang ununterbrochen nach der Bombe gefragt, und obwohl sie ihn beruhigen wollte, begann sie in ihrer gewohnten Art über Politik zu reden, über den Rüstungswettlauf, die Idioten in Washington und die Gefahr eines Atomkrieges. Später stoppte er die Zeit, die er brauchte, um von seinem Zimmer bis zu ihrem Bett zu rennen, einem Himmelbett, hoch genug vom Boden, dass sie sich beide darunter verstecken konnten. Irgendetwas riecht hier komisch , sagte sie nach ein paar Tagen, aber das war Wochen bevor sie die grün verschimmelten Brote fand, die er dort deponiert hatte.
    Und jetzt kam ihm ein Gedanke: W er zum Teufel war Ray eigentlich? Du glaubst, jemanden zu kennen, und am Ende hast du eine Bombe im Kopf.
    Hektisch kramte er in seiner Geldbörse nach der Telefonnummer von Rays Haus in L.A. Als er sie nicht fand, durchwühlte er seine Tasche, indem er den Inhalt auf den Boden kippte. Wahrscheinlich war Ray schon auf der Suche nach dem nächsten Output: Er brauchte Samson nicht mehr, es hatte geklappt, das war alles, was er wissen wollte, und jetzt kamen andere dran. Er konnte den Zettel mit Rays Nummer nirgendwo finden und hielt sich den Kopf, um geradeaus zu denken, während ihm das Blut in den Schläfen pochte. Er war wütend auf sich selber, dass er auf Ray gehört, dass er, als er ihn an jenem ersten Abend in New

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