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Kommt ein Mann ins Zimmer (German Edition)

Kommt ein Mann ins Zimmer (German Edition)

Titel: Kommt ein Mann ins Zimmer (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicole Krauss
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Faust das Fenster einzuschlagen – irgendetwas anderes zu spüren als die Erschöpfung und die Traurigkeit, die er jetzt empfand. Er wünschte, er wäre nie in die Wüste gekommen, hätte das Telefon einfach klingeln lassen damals, in jener verschneiten Nacht Ende Januar. Alles außer der Einsamkeit war ihm genommen.
    «Wie ich immer gesagt habe, es ist faszinierend, wie Sie denken, Samson. So viel Gedächtnis zu verlieren und es nicht wiederhaben zu wollen. Aber auch gar nichts davon. Das ist stark. Ein Mann, der nicht von lebenslangen Erinnerungen geblendet ist, der die Macht einer einzigen zu schätzen weiß. Als Lavell mir erzählte, man habe Sie hier draußen in der Wüste gefunden, kam mir das fast schicksalhaft vor. Ich meine, können Sie mir das beantworten: Ich habe mich immer gefragt, wohin zum Teufel gingen Sie da eigentlich?»
    Samson starrte ihn schweigend und wie versteinert an. «Sie hatten kein Recht», sagte er schließlich und wandte sich zum Gehen. «Sie hätten mich in Frieden lassen sollen.»
    «Damit Sie jetzt wo wären? Allein, wie ein Irrer durch die Straßen von New York wandernd? Sie sind gekommen, weil Sie es so wollten. Sie haben regelrecht auf den Anruf gewartet.»
    Samson blickte zurück. Sie sahen einander in die Augen.
    «Scheren Sie sich zum Teufel.»
    Ray zuckte zusammen, Samson drehte sich um und ging zur Tür hinaus.
    Draußen herrschte endlose Nacht, so vollständig schwarz, dass sie alles schluckte. Und dann fiel ihm die Antwort ein: Ich ging nach Hause.
    Er kehrte in sein Zimmer zurück und packte seine wenigen Sachen. Die Stille war wie ein ungeheurer Druck, wie das windige Rauschen unter den mächtigen Schwingen eines Vogels. Behutsam drückte er die Eingangstür mit dem Fliegengitter auf und machte sich, die Tasche über die Schulter geschlungen, auf den Weg zur Teerstraße. Er spürte Rays beobachtenden Blick von irgendwoher und ärgerte sich über den Gedanken, dass Ray vielleicht früher als er selbst wissen würde, wohin er ginge. Er war sechs oder sieben Kilometer ostwärts gelaufen, als das erste Auto kam, ein Pärchen mit verfilzten Haaren und einem mageren Hund auf dem Rücksitz. Eben ging die Sonne auf. Samson war kaum eingestiegen, da trat der Mann wieder aufs Gas. Sie waren unterwegs zu einer Tagung in Phoenix, zwei Hippies aus Oregon, die eine Fischzucht mit wilden Laichbecken für Blaupunktbarsche, schwarze Crappies und andere Arten, von denen Samson noch nie gehört hatte, betrieben. Die Frau verdrehte sich alle paar Sekunden auf ihrem Sitz, um Samson anzusehen. Sie mussten hundertdreißig gefahren sein, aber die Wüste war so weit und eintönig, dass der Wagen still zu stehen schien, sobald Samson einen Punkt in der Ferne fixierte.
    Der Mann bot ihm mit einer Hand eine Zigarette an und kramte mit der anderen unter dem Sitz nach einer Kassette, während die Frau das Steuer ergriff und lenkte. Es war eine Raubkopie von einer Band, mit dem Stimmengewirr einer Menge im Hintergrund. Samson nahm die Zigarette und zündete sie mit der glühenden Spule aus dem Armaturenbrett an. Die Frau wippte beifällig mit dem Kopf, klopfte sich im Takt auf die Knie. «Das ist live», sagte sie unter Verrenkungen, als der Hund sich am Boden verkroch. In Vegas setzten sie Samson beim Four Palms Motel ab, wo sie einmal übernachtet hatten, und rasten winkend über den leeren Parkplatz davon.
     
    Als er wieder aufwachte, war der Fernsehschirm schwarz, und draußen war es dunkel. Er stand auf, um den Wetterkanal anzustellen, doch es rührte sich nichts. Er wackelte an den Knöpfen und schlug auf den Apparat, der aber kein Lebenszeichen von sich gab. Er nahm das Telefon vom Nachttisch und wählte die Rezeption in der kleinen Baracke gegenüber einem Areal schwach beleuchteter Parkplätze.
    «Hallo?», antwortete eine Frau so prompt und begierig, als hätte sie seit Monaten keinen Anruf mehr bekommen. Der Angestellte, der beim Einchecken am Empfang gewesen war, ein kleiner Mexikaner mit tief liegenden, hohlen Augen, hatte erschrocken ausgesehen, als wäre Samson hereinmarschiert und hätte gedroht, die Bude mit einer Halbautomatik zu durchsieben, wenn er nicht auf der Stelle ein Zimmer bekomme.
    «Ist da die Rezeption?»
    «Ja, bitte?»
    «Mein Fernseher ist kaputt.»
    «Was ist passiert?»
    «Weiß ich nicht. Irgendetwas ist passiert, und jetzt ist er kaputt.»
    «Haben Sie ihn angestellt?»
    «Sie fragen mich, ob ich ihn angestellt habe?»
    Er kämpfte gegen das Bedürfnis, ins

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