Kommt Schnee
auch.«
»Da sind wir schon zwei.«
»Drei«, dachte Baumer, aber sagte nicht, dass auch Heinzmann den Verdacht hatte, dass das Heldengemälde von Alvaro Gomez zu früh als echt bescheinigt worden war.
»Die Story sieht ganz gut aus«, sinnierte Danner. »Das Ding wird etwa fünf Tage laufen. Heute ist Dienstag. Das reicht etwa bis Samstag. Es gibt genug zu tun. Zuerst mal Bilder vom Mädchen auftreiben. Ein Interview führen. Alles eine Frage des Timings. Meist geht das nach zwei Tagen am besten. Der erste Schock ist vorbei, jetzt will man plaudern.«
Baumer fand den Journalisten wieder ein bisschen unheimlicher. Die Präzision, mit der die Medienmaschine ablief, gab ihm zu denken. Was, wenn ein Mensch nicht in diese Maschinerie hineinpasste? Wenn er zwischen die Rädchen der Medienmaschine kommt und eingeklemmt wird wie ein Weizenkorn zwischen Mühlsteinen.
»Im zweiten Gang der Story«, fuhr Danner in analytischer Manier fort, »können wir die Mutter des Samuraitypen bringen. Die wird um ihren toten Sohn trauern, obwohl das nicht so zieht. Hätte die Mutter lieber auf ihren Sohn aufgepasst, werden die Leute denken.« Danner schaute ins Leere. »Danach bringen wir die Wiedervereinigung der Jungfrau mit dem Helden. Wie sie ihm dankt, und er sagt: Ach, das war doch nichts. Saubere Sache. Runde Story.«
»Aaber?«, fragte Baumer gedehnt.
Danner war sofort wieder da. Er rutschte nach vorn. »Etwas ist faul.«
»Was ist faul?«
Der Journalist blies verächtlich durch die Nase aus, sein Mund zeigte bittere Züge. »Fünf Schüsse!«, stieß es aus dem Blick-Reporter hervor.
»Ja. Das kann’s geben.«
Danner wurde erregt. »Verdammt. Ich weiß das auch. Nur ...«
»Nur ...?«
»Nur machte es peng, peng, peng, peng. Dann eine Weile nichts mehr. Dann nochmals peng?«
»Wer hat das gesagt?«
»Das hat mir der Thai von der Bretzelbar auf der anderen Seite der Passerelle gesagt. Der berichtete mir, er hätte ein peng, peng, peng, peng gehört. Dann nichts. Und dann nochmals peng.«
Baumer schwieg. Er spürte selbst, dass etwas nicht stimmte, aber konnte sich noch keinen Reim darauf machen. So viel gab es zu bedenken, zu kombinieren, zu verstehen. Und beweisen müsste man es. Das gab noch viel zu tun. Dabei hatte er noch deutlich zu wenig Kaffee intus, um richtig denken zu können. Aber selbst mit einer großen Dosis Koffein im Körper würde er noch nicht so schlau sein wie Danner.
Danner beugte sich nach vorn, stützte sich mit beiden Händen seiner angewinkelten Arme auf der Tischkante ab, als wolle er aufstehen. Dann hob er den Zeigefinger. »Ich spür’s, die ganze Sache stinkt.«
»Ich muss jetzt los«, sagte Baumer missmutig.
Danner interpretierte es als eine Zurückweisung. »Ja, ja, geh du nur«, winkte er ab. »Der dumme Danner hat ja kein Hirn. Ist ein dummer Böögg, nicht wahr, Baumi?«
Baumer sah Danner nicht als Böögg an, als diesen über 2 Meter großen Schneemann aus weißem Pappmaché und Stroh, den die Zürcher Zunftbrüder jeden Frühling auf der Sechseläutenwiese am See auf einem mächtigen Scheiterhaufen verbrennen, um den Winter zu vertreiben. Für Baumer war Rolf Danner keineswegs eine hirnlose Puppe. Trotzdem war Baumer verärgert. »Du bist ein dummer Böögg, und ich bin ein dummer Bauer. Zu den Monsieurs gehören wir beide nicht.«
Danner hatte sich so schnell beruhigt, wie er sich enerviert hatte. »Baumi, du bist in Ordnung! Hältst mich auf dem Laufenden?«
Baumer stemmte sich hoch und schaute auf Rolf Danner hinunter. Der war nur 1 Meter 65 groß und sah ziemlich klein aus. Wäre er 1 Meter 95, hätte er die dritte mündliche Prüfung an der Universität Basel wahrscheinlich geschafft. Das hätte er auch, wenn er einen ehrwürdigen Namen gehabt hätte. Dann hätte er es auch als zusammengestauchter kleinwüchsiger Minizwerg geschafft, dem die Absätze abgebrochen sind. Als Danner aus Zürich-Höngg musste er jedoch um jeden Splitter Anerkennung kämpfen.
Der Journalist vom Blick rückte seine Brille zurecht. Er faltete die Hände zum Gebet und blickte so bezaubernd wie die Pietà auf einem verschwitzten Touristen T-Shirt in Rom. »Baumer, hilf mir!«
Andi Baumer sah noch einmal auf den Mann vom Blick hinunter. Er sah den Menschen hinter der Brille. Der Kommissar schnaufte tief ein. Dann schnaufte er aus und sagte: »Ich helfe dir.«
*
Die Besprechung im Spiegelhof um 8 Uhr 15 ging zügig voran. Der Chef der Basler Kriminalpolizei machte zuerst ein bisschen Tamtam.
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