Kommt Schnee
tief ein und aus und sagte dann grad so, als ob er in lauter Stimme zu sich selbst murmeln würde. »Wenn ein solches Detail nicht stimmt, dann kann das rasch zur externen Überprüfung sämtlicher Fakten führen.«
Windler versteifte seine Haltung. Er führte die linke Hand vor seinen Mund und dachte einen langen Moment nach.
»Reine Routine. Es wird alles seine Ordnung haben«, schob Baumer zur Sicherheit nochmals nach.
»Okay, Baumer«, gab Windler nach. »Checken Sie das ab und stellen Sie sicher, dass hier alles korrekt abläuft.« Dann – er wollte die 9-Uhr-Kaffeepause bei Nina nicht verpassen – an die anderen gerichtet. »Legen Sie los. Befehl! Ich will die Sache so schnell wie möglich vom Tisch haben. Ende.«
Windler zog ab und die Kollegen von Baumer – waren es überhaupt Kollegen? – bockten wie üblich. Hier ein Knurren, da ein Fluch. Das half ihnen, das zu tun, was sie meistens tun. Zeit schinden. So tun als ob. Wursteln. Beschäftigt wirken. Telefonieren. Berichte schreiben. Berichte heften. Berichte versorgen. Pflanzen abstauben. Über Kollegen lästern. Aus dem Fenster schauen. In die Zeitung schauen. Alte Zeitungen bündeln. Radio hören. Kaffee trinken. Nochmals aufs WC gehen. Alles würden sie tun, nur um nicht Verantwortung übernehmen zu müssen.
Baumer hingegen hatte zu tun. Er hatte erreicht, was er wollte. Er konnte die Geschichte untersuchen. Ganz legal, mit Segen vom heiligen Stuhl. Die Idee mit der Registriernummer war idiotisch, aber es war ihm nichts Schlaueres eingefallen. Baumer war kein Superhirn. Er war einfach ein Polizist, der seinen Job machte.
Ohne seine Intervention als Kommissar wäre der Fall des Amoklaufs auf der Passerelle hingegen zweifellos ruckzuck abgeschlossen worden. Dass es irgendwo noch offene Enden gab, ein Detail im Ablauf keinen Sinn machte, wäre dann völlig egal gewesen. Das hätte ein guter Geist in der Verwaltung gerade gebogen. Der Fall wäre unzimperlich abgeschlossen worden. Es hätte nur noch Papierkram zu tun gegeben. Windler hatte das auch perfekt orchestriert, dachte Baumer. Gestern am Tatort hatte Windler die Untersuchung geleitet. Wobei es vermeintlich nichts zu untersuchen gegeben hatte. Alles war so klar wie der Himmel über dem Thunersee, wenn ihn Hodler malte. Das Mädchen war in Obhut. Was hätte es schon beitragen können zu den Ermittlungen? Der Schütze war ein Held. Es war Zufall, dass er zum Zeitpunkt der Tat im Bistro war. Ebenso der zufällige Dumme, der in zwei Teile gespalten worden war. Pech gehabt. Einmal zu viel einem Junkie über den Weg gelaufen. Schicksal. Ende und Aus. So sah es Windler, so sah es der Offizier vom Dienst von gestern. So sah es der Staatsanwalt aus dem Baselbiet. So sah es das Publikum. Nur Baumer sah es so nicht. Also hatte er sich eingemischt und Stress gemacht.
Baumer schluckte schwer und schlug sich auf den Hinterkopf. Das schmerzte mehr, als er beabsichtigt hatte. Aber sein Hirn wurde durchgeschüttelt und ein Schuss Adrenalin spülte seinen fauligen Zorn, der ihm hochgestiegen war, zurück in die Tiefen seiner Eingeweide. »Ja. Baumer. Du lebst noch«, sagte er zu sich, und es schien ihm, als hätte eine reale Person neben ihm das gesagt und nicht nur eine innere Stimme. »Aber du bist zu blöd, um deine Fresse zu halten.« Baumer schlug grad nochmals zu, noch heftiger, sodass sein Sehfeld erzitterte und er leicht schwindelte.
»Andi«, sagte Maja, »hör auf!« Und er spürte ihre Hand, wie sie ihn behutsam berührte am Kopf. Wie sie langsam seine kurzen braunen Haare nach hinten strich. Er erinnerte sich an die elfenbeinfarbene Hand, wie sie über seinen Kopf fuhr und die feinen, aber krausen Haare legte, so wie die Hand einer Mutter die Decke über dem Körper ihres schlafenden Kindes glatt streicht. Er glaubte zu spüren, wie Maja näher rückte und ihn auf den Hinterkopf küsste. Und wie er Majas zärtliches Parfüm roch.
Wie es kam.
Wie es ging.
5
Die Erinnerung an Maja machte Baumer schwer ums Herz und er begann seine Mission, so wie man eine Reise beginnt, auf die man nie wollte. Missmutig.
Der Kommissar ging zur Dispo und erhielt dort die Adresse von Gomez. Hotel Schweizerhof. Das lag am Bahnhof Basel auf der Seite des St-Alban-Quartiers. Also piepste er sich einen freien Streifenwagen herbei. Wagen 6 war am nächsten beim Stützpunkt. Der spielte Taxi für ihn. Baumer war leise enttäuscht, dass der Fahrer des Streifenwagens, der ihn abholte, nicht Heinzmann war. Dann erinnerte
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