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Kommt Schnee

Kommt Schnee

Titel: Kommt Schnee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roger Aeschbacher
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20Minuten, Punkt.ch, News. Er überflog sie rasch. 20Minuten machte auf mit der Schlagzeile »Amoklauf in Basel. 2 Tote«. Baumer dachte, kürzer gehe es nun wirklich nicht, und zog den Hut vor so viel werberischer Kompetenz. Der Lead, der kurze Text mit dem der Artikel eingeführt wurde, sprach von einem Drogenabhängigen, der ausgerastet sei und einen zufälligen Passanten erschlagen, dann eine Geisel genommen habe. Ein Geschäftsmann – ein Held! – habe daraufhin die Geisel befreit, indem er den selbsternannten Samurai aus Notwehr erschossen habe. Der Artikel, der dem einführenden Paragraph folgte, sagte dann nochmals das Gleiche. Mit nur unwesentlich mehr Sätzen als im Lead. Die anderen Gratisblätter berichteten im gleichen Stil. Baumer warf sie weg.
    Vorn am Bistro erinnerte nichts mehr an die Tat von gestern. Andi Baumer war erstaunt, wie rasch der Courant normal wieder eingekehrt schien. An je einem Tischchen saßen zwei Alkis, die am ersten Bier saugten, wie Fische an Land nach Luft schnappen. Zwischen zwei Schlucken warfen sie sich grobe Satzbrocken hin und her und erzählten sich überlaut und zum wiederholten Male das halbe Leben. An der Bar drängelten sich müde Pendler und bestellten den zweiten Kaffee. Den brauchten sie dringend, sonst würden sie es nicht bis ins kaltherzige Büro schaffen.
    Der Kommissar ging am Bistro vorbei, fuhr die Rolltreppe nach unten und kaufte sich am Kiosk das Käseblatt der Stadt, sowie das Käseblatt der Nation. Er setzte sich in die kleine Imbissstube hinter dem Kiosk, direkt am Gleis 4, das für den nach Paris fahrenden TGV reserviert ist. Er bestellte einen Kaffee und verdrückte sich in eine Ecke.
    Die Boulevardzeitung »Blick« hatte die Fakten richtig. Baumer erfuhr auch den Namen des Mannes, der Toni erschossen hatte. Es war zu lesen, dass man den vollen Namen nur abdrucke, weil bereits einzelne Online-Medien diesen veröffentlicht hätten und er nicht mehr zu schützen sei. Der Geschäftsmann mit der Knarre hieß also Alvaro Gomez, 42 Jahre alt, Portugiese. Der mit dem Samuraischwert Getötete war Boban Stankovic, 28 Jahre alt, Schweizer.
    Baumer staunte, wie es dem Blick wie immer gelang, die Fakten zu einer Horrorgeschichte zu verknüpfen. Und diese Geschichte musste er nicht einmal künstlich aufbauschen und dramatisieren. Blut war geflossen, und das reichlich. Ein Held war auch da. Er hatte die unschuldige Jungfrau befreit. Das reichte tausendmal für eine große Story.
    Man hatte beim Blick wohl begriffen, dass niemand diesen Amoklauf voraussehen konnte. Also wurde der Basler Polizei auch kein Vorwurf gemacht, dass man das Blutbad hätte verhindern können. Vielleicht käme das später. Es würde auf offene Ohren stoßen. Die Öffentlichkeit fühlte sich seit längerem unsicher und wollte wieder mehr Polizei in den Straßen.
    Sicherlich würden die Leute vom Blick mit Alvaro Gomez noch ein paar Homestorys machen wollen. Man brauchte diesen Helden noch, um das Blatt bis zum Ende der Woche zu füllen. Dann wäre die Geschichte ausgelutscht. An das Mädchen war der Blick zum Glück noch nicht gekommen. Das war im Kantonsspital sehr gut betreut und wurde vor der Presse abgeschirmt. Dennoch zitierte der Blick das Mädchen schamlos. In direkt indirekter Form. Das las sich so:
    »Jetzt wird er mich töten«, musste das Mädchen zweifellos denken. Es spürte den kalten Stahl der Mordwaffe an seiner Kehle. Sicherlich sagte es sich: »Ich bin doch noch so jung. Ich will nicht sterben.«
    Die Berichterstattung in der Basler Zeitung war so ähnlich wie im Blick. Nur einen Zacken langweiliger.
    In Baumers Blickfeld tauchte plötzlich ein breites Männerbecken auf, das in einer hellblauen Gabardinehose steckte. Die Stimme, die zu dem Mann gehörte, von dem Baumer nur einen Ausschnitt sah, sagte: »Grüezi, Herr Baumer.«
    Baumer blickte auf. Zum Becken und der Stimme kamen nun noch der Oberkörper und der Kopf und der ganze Rest von Rolf Danner dazu.
    »Darf ich mich zu Ihnen setzen?«
    Danner setzte sich.

    *
    Rolf Danner war Journalist beim Blick. Seine Kleidung war immer geschäftsmäßig, doch sehr leger. Nicht wirklich dreckig, aber auch nicht wirklich sauber. Die Gabardinehose war sicherlich 15 Jahre alt. Vielleicht hatte er sie damals neu gekauft und seither oft getragen. Vielleicht hatte er auch in einem billigen Secondhand Laden eingekauft. Die Hose war auf jeden Fall schon sehr gebraucht, die Hosentaschen bereits so weit ausgebeult, dass die Innentaschen aus

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