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Kommt Schnee

Kommt Schnee

Titel: Kommt Schnee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roger Aeschbacher
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weißer Baumwolle herausschauten. Die Ränder der Taschen waren speckig. Sie erinnerten an tränensäckige Augen, die jedes Gesicht traurig und alt aussehen lassen.
    Schlimm war Danners Brille. Die hatte er wahrscheinlich 1986 auf dem Flohmarkt auf dem Petersplatz erstanden, als er an der Uni Basel – gleich nebenan – sechs Semester Geschichte studiert hatte. Vielleicht waren es auch nur vier gewesen. Jetzt war diese Brille sein Markenzeichen geworden, das er nicht ohne Weiteres ablegen konnte. Es war eine Brille, wie sie Zuhälter in den 70er Jahren trugen. Dicke silberfarbene Bügel hielten die Gläser, übergroße Scheiben, am unteren Rand leicht getönt, am oberen deutlich dunkler. Im Augenblick war Danner mit diesem Gestell gerade mal wieder topmodern – wie etwa alle 12 Jahre, für genau eine Saison. In den restlichen Semestern jaulte seine Brille das Gegenüber an wie ein brünstiger Kater den Vollmond anheult.
    »Schon gelesen?«, fragte Danner.
    Baumer sagte nichts.
    »Sie waren doch dabei! Was lief ab?«
    Baumer sagte nichts.
    »Warum haben Sie nicht eingegriffen?«
    Baumer schwieg, aber ein tiefes Brummen stieg in ihm hoch. Es hätte sich wie ein Erdstoß entladen können, wie vor ein paar Jahren, als in Basel nach Geothermiebohrungen die Erde gebebt hatte, weil man eine neue Energiegewinnung testen wollte. Auch in Baumer brodelte es jetzt und die Spannung begann, sich in seinem Gesicht aufzubauen. Aber bevor sie an die Oberfläche kam, winkte Danner rasch mit einem unschuldigen Lächeln ab. »Ich weiß, ich weiß. Laufendes Verfahren. Ist mir schon klar.«
    Baumer beruhigte sich. Er sagte weiterhin nichts und senkte den Blick.
    »Aber«, sagte Danner verschwörerisch und beugte sich zu Baumer vor, suchte seinen Blick und schaute ihn mit leicht gesenktem Kopf wie ein treuer Hund an, »es waren fünf Schüsse.«
    Baumer schwieg weiterhin, nickte dann aber ab, was Danner eh schon wusste.
    Danner lehnte sich erfreut zurück. »Fünf also. Ja, das kann’s geben. Meist sind es sechs, wenn einer durchdreht. Auf jeden Fall genau so viele, wie es Schüsse im Magazin hat. Selten sind es nur fünf oder drei oder vier.«
    Baumer fuhr sich mit der Hand durch die Haare. »Es waren fünf«, sagte er zur Brille.
    »Ja, hm, also fünf Schüsse.«
    Baumer blieb cool und half Danner, dem Journalisten, nicht speziell. Er behinderte ihn auch nicht. Er respektierte die Funktion von Danner. Irgendwie mochte er Rolf Danner sogar. Dieser war drei Mal durch das Vordiplom an der Universität gerasselt. Hatte vielleicht zu oft in Mädchenbetten übernachtet, anstatt sich mit den einflussreichen schlagenden Verbindungen zu besaufen. Mit ihnen zu prahlen. Mit ihnen zu grölen. Zu kotzen. Hatte vielleicht auch zu wenig für die Prüfungen gelernt. Hätte aber sicher bestanden, wenn er den richtigen Namen gehabt hätte. Oder die richtigen Freunde. Am besten beides. Das braucht es, um in Basel Karriere zu machen, ebenso wie ein Astronaut auf dem Mond Sauerstoff und Wasser braucht.
    Baumer imponierte, dass Danner trotz der Behinderung durch die genetische Krankheit genannt Namenlosigkeit nie aufgab. Er respektierte die Lebensleistung dieses Journalisten. Der hatte sich zum Spezialisten für Mordfälle emporgearbeitet. Einfach, weil er hartnäckig Fragen stellte und den dicken Teppich umdrehte und darunterschaute. Egal, ob das den feinen Herren gefiel oder nicht. Natürlich träumte auch Danner von Anerkennung. Wie jeder Protestant, der seine Arbeit sauber und ehrlich macht. Doch am Ende des Tages, wenn er seinen Teil Anerkennung von der Gesellschaft abholen wollte, war Danner gut bedient, wenn man ihn nur ignorierte. Meist bekam er jedoch einen Haufen Neid und Missgunst in die Hand, nicht selten noch einen Schlag Verachtung obendrauf.

    Dreckszürcher!

    Das riefen sie ihm in Basel nach. Dann, wenn der FC Basel die Meisterschaft gegen den FC Zürich verlor. Dreckszürcher. Das spuckten sie ihm sogar noch lauter ins Gesicht, wenn der FC Basel gewann.
    Baumer sah Danner an. Hinter dessen Brille sah er in die Augen eines alten Boxers, der zu viele Kämpfe durch K.o. verloren hat und der trotzdem immer wieder in den Ring steigt.
    »Was willst du wissen?«, fragte Baumer trocken.
    Danner hob die Augenbrauen und machte große Augen. Baumers Angebot war unerwartet gekommen. Doch Danner fasste sich schnell. »Da steckt mehr dahinter«, sagte er.
    »Findest du?«, sagte Baumer.
    »Es juckt mich«, meinte der Journalist.
    »Mich juckt es

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