Kommt Schnee
Drogen deuteten. Keine Sau mehr in der Bar. Keine anderen Angestellten, keine Gäste, die zu vernehmen gewesen wären. Am Morgen dann bereits der Toni-Alarm.«
Baumer verstand, dass die Drogentote in der Prioritätenliste nach hinten gerutscht war. Nach alledem, was Heinzmann erzählte, würden Ermittlungen wahrscheinlich sowieso nur pro forma und ohne Schwung durchgeführt werden. Fremdeinwirkung konnte ja ausgeschlossen werden. Die Putzequipe hatte mit der Sache sicherlich nichts zu tun. Vielleicht hatte der Barmann oder ein Türsteher die Finger im Spiel. Das wäre zu überprüfen. Ebenfalls zu überprüfen wären der oder die Begleiter von Madleina, sowie Hunderte von Besuchern, die ihr ebenfalls etwas zugesteckt haben konnten. Aber wem hätte man was beweisen wollen. Und wie? Wozu auch? Madleina hatte sich selbst ins Jenseits befördert. Sie ganz allein hatte entschieden, sich in der Toilette in der Bar Rouge einzuschließen, dort im grünen Wolkenkratzer am Messeplatz, dem höchsten Gebäude der Schweiz, und abzufliegen. Niemand wäre dafür zur Rechenschaft zu ziehen. Kein Verfahren wegen irgendetwas würde eingeleitet werden. Pech gehabt, liebe Madleina. Zu jung zu viel geschnupft. Hast halt nicht aufgepasst. Und Tschüss. Wen interessierst du schon? Ja. Dem Toni hast du mal was bedeutet. Ihr wolltet mit dem Motorrad nach Griechenland. Zusammen den Sonnenuntergang bei den Windmühlen von Mykonos erleben. Euch streiten, versöhnen, Kinder machen. Heiraten. Euch ewig lieben. Doch nun seid ihr beide tot. Aber was könnte es Schöneres geben. Ihr seid vereint bis in alle Ewigkeit. Niemand kann euch je mehr trennen.
Bei diesem Gedanken fühlte Baumer sich augenblicklich schlecht. Er dachte an Maja und sah sie vor sich, wie sie ihm gegenüber an seinem kleinen Bistrotischchen saß und abrupt aufstand. Dabei drückte sie das Tischchen von sich weg und in Baumers Magen. Die Salatteller klapperten hell, aber fielen zum Glück nicht vom Tisch. »Andi. Ich liebe dich. Aber manchmal bist du richtig böse«, hatte Maja gerufen. Sich daran erinnernd, brannten sich ihre Worte erneut in seine Seele, und er spürte die Kante des Bistrotischchens zum wiederholten Male in seine Magengrube furchen. Bitterer Schmerz paarte sich mit endloser Traurigkeit. Die tote Madleina war ihm nun endgültig egal.
Baumer kämpfte hart an gegen die Erinnerung an Maja, versuchte, sie hinunterzuschlucken. Doch immer mehr Bilderfetzen kamen hoch, die schwer zu ertragende Gefühle im Gepäck dabeihatten. Wie er Maja am Arm hatte zurückhalten wollen. Wie sie sich von ihm losgerissen hatte, als müsste sie einen Bienenschwarm abwehren. Wie sie ihm wegen der Beengtheit auf dem Minibalkon unabsichtlich die Hand ins Gesicht geschlagen hatte. Wie sie selbst erschrocken war, ihn sofort mit beiden Händen am Kopf gepackt hatte. »Entschuldigung, Entschuldigung«, hatte sie gerufen. Erneut spürte er sie, wie sie ihn liebkoste, umarmte, ihm ihre samtene Wange auf seine heiße Schläfe drückte.
Dann gab sich Baumer einen Ruck. »Nicht daran denken, du tust dir nur selber weh«, sagte er zu sich selbst, wohl wissend, dass es nutzlos war, sich das Denken an Maja zu verbieten. Er suchte irgendeine Ablenkung und beeilte sich, Heinzmann anzusprechen. »Komm, Stefan! Weiter.«
»Weiter. Wohin?«
»Einfach weiter.«
*
Heinzmann hatte Baumer im ilcaffè abgeliefert und war dann weitergefahren. Als Baumer ins Lokal trat, begrüßte ihn Gianni beinahe ebenso herzlich, wie er seinen langjährigen Lover anstrahlt, wenn sie sich treffen beim gemeinsamen Sonnenbad am Kleinbasler Rheinufer in der Nähe des Tinguelymuseums.
»Salut Baumi. Oh, das freut mich aber. Du bei uns. Das ist aber lieb, dass du um diese Zeit bei uns vorbeischaust.«
Also saß Baumer bei Gianni und trank einen Espresso. Er dachte nach. Der Amoklauf von Toni konnte erklärt werden. Immerhin so, dass er eine runde Geschichte ergab. Das sah auch er. Das eine führte zum anderen. Keine Unklarheiten. Nur. Der Film ruckelte im Kopf des Kommissars. Vielleicht waren die einzelnen Sequenzen zu grob aneinandergefügt worden, und der Film sprang, so wie ein alter 35mm-Film in einem Projektor ruckelt, wenn der Zelluloidstreifen gerissen und zu ungenau wieder verklebt worden war. Vielleicht war die Mechanik des Projektors aber auch ausgeleiert oder die Perforation im Filmmaterial korrumpiert. Der Film ruckelte. Und das störte Baumer. Er wollte einen Film ohne Kratzer und Aussetzer sehen. Nur so konnte
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