Kommt Schnee
Baumer lachte innerlich. Diese Idioten würden dem Totenkopf in ihrem Emblem besser einen Schraubenschlüssel in den Mund legen. Doch dann überlegte er es sich anders und dachte, dass das schon in Ordnung gehe so. Ein Totenkopf mit einem scharfen Messer zwischen den Zähnen. Dieses Bild passte doch sehr genau zu diesen Typen. Deadly Skull’s. Todbringende Totenköpfe.
*
Baumer machte sich auf den Weg nach Hause. Bis dahin war es von der Garage der Deadly Skull’s aus nur ein Katzensprung.
Für heute hatte er genug Informationen gesammelt. Aber es waren bei Weitem noch zu wenig Legosteine da, um damit ein Haus zu bauen oder nur schon ein stabiles Fundament. Die wenigen Fakten bereiteten ihm bisher nur Bauchschmerzen. Sie wurden in seinem Magen durcheinandergeworfen, wie dreckige Wäsche in einer Waschmaschine.
»Kommt kein Schnee.«
Baumer erschrak, als er Heberlein hinter sich hörte. Der wäre beinahe in ihn hineingeputscht, hielt aber gerade noch rechtzeitig an und blieb dicht hinter Baumer stehen. Der Kommissar sprang überrascht herum, so schnell, wie es Rocky Horror beim Midnight Dance tut.
»Kommt kein Schnee«, wiederholte der Autist, dessen Kapuze trotz Wetterbesserung immer noch bis auf die Nasen-Mund-Augen-Öffnung geschlossen war. Die Regenjacke hing ihm schlapp über die Knie. Die Drillichhose war von Carhartt. Das war die einzige Art Hose, die Heberlein jeweils trug. Vielleicht weil man in diese Hose präzise Hosenfalten bügeln konnte? Dazu passten die klobigen hohen Winterschuhe eigentlich nicht, aber Heberlein entschied sich immer für die sichere Version. Wo andere Sandalen trugen, trug er Turnschuhe. Wo andere Turnschuhe trugen, hatte er schwere Halbschuhe an. Heute, wo schwere Halbschuhe genügt hätten, trug Heberlein Schuhwerk, das für eine Bergwanderung gereicht hätte.
Baumer gab Heberlein den Weg frei und sein autistischer Nachbar wackelte weiter wie ein mechanisches Kinderspielzeug, das an einer Schranke angestanden hatte und weiterzockelte, kaum dass die Schranke offen war. Baumer sah ihm nach. Heberleins Gang war wie immer staksig, aber zwei halbvolle Einkaufstaschen der Migros, die er an beiden Seiten hielt, gaben Halt, wie eine Stange einem Seiltänzer die Balance erleichtert.
Heberlein hatte nicht selbständig eingekauft. Dazu war er nicht fähig. Er holte nur jeweils das Material ein, das man ihm freundlicherweise einmal pro Woche in der Migros einpackte. Immer mittwochs. Immer um 17 Uhr 30. Immer die gleiche Bestellung.
Heberlein marschierte zurück an die Hochstraße, dort wo beide wohnten. Baumer trottete hinterher, folgte Heberlein wie ein müder Schatten. In Gedanken versinkend, ohne auf den Weg zu achten, folgte er seinem Nachbarn, wohl wissend, dass dieser ihn sicher wie ein Schweizer Zug auf Schienen ins Ziel führen würde. Andreas Baumer ließ sich fallen. Der Tag ging ihm noch einmal durch den Kopf. Er dachte an Toni, der um seine schöne Freundin getrauert hatte. Seine Frau war auch schön gewesen. Sie war nicht tot. Sie lebte und war doch weiter weg als ein Grab.
So zog Franz Heberlein, der Autist, Andreas Baumer, den Kriminalkommissar, nach Hause. Hätte jemand die zwei Gestalten beobachtet, er hätte wohl Mühe gehabt zu erkennen, wer von beiden der Autist war.
7
Am nächsten Tag war bereits wieder Zusammenkunft im Spiegelhof. Windler hatte seine Truppe per SMS auf 8 Uhr zur Berichterstattung bestellt. Als Baumer im großen Sitzungszimmer eintraf, saß auch Heinzmann dort. Baumer erkannte ihn sofort an seiner hohen Mütze, die er auch jetzt trug. Er brauchte sie nicht abzunehmen, denn wer hinter ihm saß, blickte sowieso nur auf hohe breite Schultern. Der Wachtmeister sah müde, aber nicht erschöpft aus und nuckelte an einem Plastikkaffee. Baumer fragte sich, ob sein Freund eigentlich nie schlafe. Er setzte sich zu ihm und wollte ein Gespräch beginnen, aber im selben Moment flog die Tür auf und Windler betrat die Bühne.
»Meine Herren. Bitte setzen!« Das sagte der oberste Chef der Kriminalpolizei zu den Leuten, die alle bereits saßen. Er selbst trat an das Rednerpult. Seine Hände fassten die Seiten des Blatthalters. Er legte los. Sehr behutsam, sehr leise.
»Meine Herren«, Windler stoppte, führte die geschlossene Hand zum Mund, räusperte sich nochmals. Er schluckte, begann von Neuem. »Wie Sie wissen ...« Er brach erneut ab, trat vom Rednerpult weg, sammelte sich scheinbar.
Baumer und Heinzmann nervte dieses Getue. Alles nur Show, um
Weitere Kostenlose Bücher