Kommt Schnee
Aufmerksamkeit zu erheischen. Gelernt in einem teuren, aber schlechten Rhetorikkurs.
Endlich kam Windler zur Sache. »Wie Sie wissen, hat es zwei Tote auf der Passerelle gegeben. Zufall! Dumm gelaufen. Ein Amoklauf kann immer irgendwo passieren.« Er hielt inne und schaute in die Runde. Er zog sich mit beiden Händen ans Rednerpult, schaute auf ein imaginäres Blatt. Stieß sich wieder ab und blickte in die Runde. »Sicherlich haben Sie heute die Zeitungen gelesen. Der übliche Wurstsalat ...« Er machte eine Kunstpause und sagte dann: »… mit Käse.«
Die meisten Leute im Raum lachten. Einige aus Höflichkeit. Die meisten aus Angst. Andi Baumer und Stefan Heinzmann lachten nicht. Beide schauten drein, als könnten sie leider kein Deutsch und hätten daher den fahlen Witz gar nicht verstanden.
Windler übersah es. Er genoss die Huldigungen der Mehrheit seiner Beamten und fuhr dann fort. »Insgesamt berichten die Zeitungen, was zu erwarten war. Homestories der Opfer. Der Erschlagene hieß Boban Stankovic, 28 Jahre alt, Besitzer einer Consultingfirma für Logistik. Ausländer, noch dazu ein Serbe. Einer dieser beim Normalbürger sowieso verhassten Yugos «. Windler sah gelangweilt auf eine imaginäre Zeitung vor sich. Er schien mit einer Handbewegung eine Seite umzudrehen. Erzählte dann weiter, was in dieser unsichtbaren Zeitung stand. »Toni, der Mörder. Ein Junkie. Das Motiv noch unklar. Gomez. Er ist der Held, der das Mädchen befreit hat. Also genau der Bericht, der zu erwarten war.« Mit diesen Worten hob er den Blick von seinem imaginierten Blatt und schaute in großem Bogen in die Runde. Er fühlte sich wie Barack Obama, der seinen Wahlsieg verkündet und den Journalisten gnädig ein paar Fragen gönnt.
»Soweit ist also alles klar. Noch Fragen?«, sprach er seine Untergebenen an.
Diese zuckten mit den Schultern, drehten die Hände, schoben die Lippen nach vorn, rutschten auf dem Stuhl hin und her, schüttelten den Kopf. Baumer schaute in den Schoß, sagte nichts.
»Keine Fragen? Gut!«
Windler wollte bereits gehen, als Baumer sagte: »Ich habe die Registrierung der Waffe überprüft.«
Lachenmeier drehte sich sofort zu Baumer und erwartete gespannt dessen Bericht. »Und?«, wollte er von Baumer wissen und kratzte sich dabei die Oberfläche seiner linken Hand mit frisch geschnittenen Fingernägeln wund. »Ich hoffe doch, dass alles in Ordnung ist.«
»Gomez hat die Waffe nicht mehr. Er sagt, er habe sie weggeworfen.«
»Was, weggeworfen?«, stutzte Lachenmeier.
»Er hat sich in der Nacht der Tat im Wald verlustiert und die Waffe weggeworfen. Theoretisch ist das möglich.«
»Theoretisch?«, fragte Windler.
»Theoretisch kann das stimmen, was Gomez sagt«, antwortete Baumer. »Er wollte das Mordgerät loswerden, überprüft war es ja bereits.« Bei diesem Satz blickte Baumer auf Lachenmeier und er sah in ein verängstigtes Gesicht. Lachenmeiers Fingernägel der rechten Hand schürften in horrendem Tempo über seine linke. Die Bewegung des Unterarmes erinnerte an einen Pneuel einer Spielzeugdampfmaschine, die überdreht.
Windler kam Lachenmeier zu Hilfe. »Die Waffe ist überprüft worden. Waffenschein ist da. Bisher ist die Waffe bei keinem Verbrechen in Erscheinung getreten. Also wirft Gomez sie weg. Das macht Sinn. Ein bisschen unangenehm zwar. Aber was soll’s. Ist ja seine Waffe.«
»Nur können wir die Registrierung jetzt nicht mehr prüfen«, gab Baumer zu bedenken.
»Scheiß Detail!«, zischte Windler seine Verachtung hervor. »Ist doch unwichtig. Gomez wirft seine Waffe weg. Na und? Detail! Gomez ist clean.«
Baumer schwieg. Heinzmann sagte auch nichts. Er schaute auch nicht zu Baumer hinüber, denn er spürte, dass Baumer momentan nichts erwidern wollte. Windler nahm das Schweigen Baumers als Einverständnis, dass der Fall abgeschlossen war. Das letzte Blatt im Bericht zum Bistrofall würde jetzt umgedreht werden. Eine letzte Seite – weiß – würde den Report abschließen und die Seite überdecken, wo ein Schreibfehler ein wenig unbeholfen geweißt und wieder überschrieben worden war.
Der Chef der Kriminalpolizei sah, dass niemand mehr zu widersprechen wagte. Eigentlich schade, dachte er, denn diesen Baumer mit seinen grausigen Füßen hätte er zu gern eingestampft. Nach allen Regeln der Kunst. Da Baumer aber bereits den Schwanz eingezogen hatte, ließ er sich einfach noch von allen Leuten berichten, was sie sonst noch erfahren hatten. Er tat das nur, um seinen Leuten die
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