Kommt Schnee
gestorben. Ende. Aus. Es hat gar keinen gegeben. Nie. Alles in Ordnung in Basel. Wir werden sicherlich nichts mehr unternehmen. Nichts. Es gibt auch nichts zu unternehmen. Es ist kein Rauch da, weil auch kein Feuer da ist. Du kannst also ganz beruhigt sein.«
Baumer redete mit Rötheli wie der C-Juniorentrainer vom FC Aesch mit seinem 13- jährigen Mittelstürmer redet, der um sein Aufgebot für die Nordwestschweizer Auswahl bangt.
»Ihr macht also nichts?«, fragte Rötheli. Es war mehr Bitte als Frage.
Heinzmann schüttelte langsam den Kopf, sagte nichts.
Auch Baumer verneinte: »Du kannst ganz beruhigt sein. Niemand wird hier Trouble machen.« Beinahe hätte er dabei Rötheli die Hand auf den Unterarm gelegt, wie der Pfarrer von Häsingen einer adretten jungen Witwe.
Rötheli war beruhigt. Die Beförderung erneut in Sicht. Er lächelte unweigerlich. Er rutschte in den Sitz und seine Anspannung entlud sich in einem Kichern. Dann schenkte er Baumer ein dankbares Lächeln.
Ein paar Straßen weiter fragte Heinzmann Rötheli ganz nebenbei, wo er denn hinwolle. Sie waren am Voltaplatz angekommen und mussten vor einem Rotlicht dort an der ewigen Autobahnbaustelle warten.
»Lass nur«, sagte Rötheli. »Ich geh hier raus. Kann ich grad die 11 nehmen.« Sagte es und sprang aus dem Wagen. Er stand auf dem Bürgersteig und winkte den beiden Polizisten. Die winkten freundlich zurück. Baumer, zwar wie immer missmutig, zeigte Rötheli dennoch ein für seine Verhältnisse recht freundliches Schmunzeln. Baumer war prompt über sich selbst erstaunt, wie gut das noch ging. Von Heinzmann bekam Rötheli ein kollegiales, großes »Ciao« geschenkt. Beschwingt und vergnügt trat Rötheli den Weg zur nahen Straßenbahnhaltestelle an.
Die Ampel sprang von Rot auf Orange, das Orange sprang auf Grün. Heinzmann fuhr los, wartete mit dem Sprechen, bis sie um eine Straßenecke gebogen und außer Sicht von Rötheli waren. Dann sagte er: »Wohin. Buvette?«
Mit Buvette meinte er die kleine Imbissbude kurz vor St. Louis, die von Ali, dem Türken geführt wurde. Am Tag arbeitete seine Frau 12 Stunden in der Buvette, in der Nacht stand Ali 12 Stunden hinter dem Tresen. Manchmal half eine mürrische Alte aus, damit Ali und seine Frau wenigstens ein paar Stunden in der Woche zusammen sein konnten, um sich zu lieben und Kinder zu machen.
»Ja. Buvette ist gut«, bestätigte Baumer.
Heinzmann fuhr die Straße hinunter, die quer durch den Campus der Novartis führte. Die könnte bald geschlossen werden, da die Pharmafirma das ganze Gebiet für sich reklamierte, um dort besser wirtschaften und forschen zu können. Würde die Straße zugemacht, dann könnte auch Alis Buvette dichtmachen. Heinzmann tat das weh, denn in den langen Nächten kehrte er oft bei Ali ein. Er begrüßte ihn dann immer mit Merhaba, was auf Deutsch »Guten Tag« heißt. Ein kleiner Running Gag unter zwei Nachtarbeitern.
Heute war Alis Frau da. Heinzmann und Baumer nahmen je einen Kaffee. Zum Essen war ihnen nicht zumute. Sie zogen sich in das weiße Plastikzelt zurück, das Ali als Windschutz für den Winter aufgestellt hatte. Darin schnappten sie sich zwei Plastikstühle und einen Plastiktisch (Tisch Nr. 4) und setzten sich in die vom Eingang am weitesten entfernte Ecke. Es war frostig und kein zufälliger Gast würde sich dorthin verlieren und ihr vertrauliches Gespräch unterbrechen. Auch Alis Frau würde vom Baseldeutsch, das die beiden Freunde sprachen, nichts verstehen. In ihrer Ecke waren sie ungestört.
Also saßen sie auf weißen Plastikstühlen, deren Armlehnen schwarze Schlieren zeigten. Die rührten von den ölverschmierten Händen der LKW-Fahrer her, die bei Ali-Kebab Rast machten. Das weiße Tischchen, an dem die Polizisten saßen, war ebenfalls mit schwarzen Schlieren verziert und hatte einige Scharten und Hiebe. Abgelegte Zigarettenglut hatte sich uringelb verewigt. Ein erbärmlicher Anblick, der durch keinerlei Tischtuch oder Dekoration kaschiert wurde.
Dort in diesem kleinanatolischen Flecken Schweiz, beinahe in Frankreich, planten Andreas Baumer und Stefan Heinzmann die Auflösung der zwei Mordfälle. Denn Mordfälle waren es. Der eine wie der andere. In diesem Blinddarm von Basel, der bald entfernt werden würde, legten sie ihre Strategie fest, um die Wahrheit ans Licht zu bringen. Dort machten sie ihren Schlachtplan um anzugreifen. Dort tranken sie ihren schlechten, schwarzen Kaffee bis auf den Grund des weißen Plastikbechers. Dort erhoben sie
Weitere Kostenlose Bücher