Kommt Schnee
Die Leute links und rechts bewegten den Kopf nur einen Hauch in Richtung Baumer, aber stierten ihn mit verdrehten Augen an wie Kälber im Gatter, wenn der Metzger kommt. Heinzmann fixierte hingegen Windler. Suchte nach Hinweisen. Hinweisen auf was?
Auch Rötheli schaute Baumer nicht an, ebenso wenig seinen Chef. Stattdessen betrachtete er die Rückenlehne des Stuhls vor ihm, während er sich mürrisch das Kinn rieb. Er versuchte zu verstehen, was hier vor sich ging. Er kam zu keinem Schluss. Seine Gedanken drehten wie Kugeln beim Lotto. Wenn die Kugeln fielen, würde Rötheli auf seinen Wettschein blicken. Er würde nicht reicher sein als zuvor.
Baumer löste die Spannung im Raum mit einem knappen Satz. Er antwortete Windler: »Geht in Ordnung.«
Windler nahm es zur Kenntnis, wie eine Mutter das Geständnis ihres Kindes, das ein Bonbon geklaut hatte. Der Chef der Basler Kriminalpolizei sprach weiter mit dem Radiator und hatte jetzt ein milderes, verständnisvolleres Lächeln auf den Lippen. Seine Frisur hatte von der plötzlich ins Zimmer einbrechenden Wintersonne einen unwirklichen Glanz erhalten. »Na also. War ja nicht so schwer, Baumer. Wir alle sind ein wenig angespannt. Zwei Tote. Schreckliche Sache. Müssen das Beste daraus machen. Sie sind ein guter Mann. Ich brauche Sie.«
Das Blabla von Windler ging noch ein bisschen weiter. Er sprach von Teamarbeit, alle am selben Strick ziehen. Gemeinsame Verantwortung haben. Solchem Schmu eben. Baumer hörte nicht hin. Heinzmann hörte nicht hin. Rötheli hörte nicht hin. Lachenmeier hörte nicht hin. Meier hörte nicht hin. Der Radiator hörte nicht hin.
Dann trat Windler ab. Ein paar verlorene Gesten, ein paar aufmunternde Blicke in die Runde, gezwungenes Lächeln. Erste Schritte, um abgesprengte Sympathien wieder zusammenzukitten. Weitere würden später folgen.
Heinzmann krallte seine Hand um den Oberarm von Baumer und zog ihn zu sich. Eine unterstützende Geste, die zugleich bedeutete: »Komm!« Baumer schmerzte der Arm vom Griff seines Freundes, der härter ausgefallen war, als beabsichtigt. Er stand auf und folgte Heinzmann, der schon fast zur Tür raus war. Baumer hatte seinen Kopf noch auf Standby, dachte nichts, sondern musste sich beeilen, dem Wachtmeister hinterherzukommen, der in den Hof zu seinem Streifenwagen gegangen war.
*
Als Baumer in den Innenhof trat, saß Heinzmann schon im Auto und blickte stur geradeaus, wie der Schwiegersohn, wenn er die Schwiegermutter abholt. Andi stieg auf der Beifahrerseite ein. Noch bevor er sich angeschnallt hatte, wurde die linke Hintertür aufgerissen und Rötheli plumpste hinein.
Sogleich fuhr Heinzmann los.
Rötheli konnte es nicht lange aushalten, griff mit beiden Händen an die Kuppen der Vordersitze, zog sich nach vorn und platzte los. »Was passiert jetzt?«
Keine Antwort.
»Verdammt. Sagt schon. Was macht ihr jetzt?«
Es war Heinzmann, der reagierte. »Ich weiß noch nicht. Baumi geht um diese Zeit gern Kaffee trinken. Ich hab grad einen gehabt. Muss also nicht sein.«
Röthelis Gesicht fiel zu Boden. Dann giftete er: »Verarsch mich nicht!«
»Ich verarsch dich nicht«, meinte Heinzmann mit hochgezogenen Augenbrauen.
Rötheli blickte Baumer von der Seite an und sagte nur: »Baumer?«
Der antwortete abwesend. »Ja, Kaffee.«
Der Chef der Zivilen, kein Freund der beiden, blaffte: »Ihr heckt doch was aus. Verdammt. Das gibt Trouble.«
»Kein Trouble«, sagte Heinzmann.
»Kein Trouble«, bestätigte Baumer.
»Das glaub ich nicht. Ihr macht sicher Ärger. Verdammt.«
Jetzt gab Heinzmann seine Ruhe auf und drehte sich noch im Fahren zu Rötheli. »Und Ärger kannst du nicht brauchen. Schon verstanden, Rötheli«, spottete Heinzmann und drehte sich wieder nach vorn. Diesem alten Wachtmeister, der schon längst Major sein müsste, aber in Basel nie werden würde, konnte keiner was vormachen.
Rötheli knirschte. »Wenn ihr Ärger macht und Windler durchdreht, dann spritzt seine Galle irgendwohin.«
»Und dann gibt’s für dich vielleicht eine böse Überraschung, wenn die Beförderungen am Ende des Jahres bekannt gegeben werden. Ja, ja, schon klar, Monsieur le Chef«, warf Heinzmann Rötheli vor die Füße.
»Willst du mich anficken?«, giftete Rötheli, der an seinem wunden Punkt getroffen war.
Baumer schritt schnell ein, drehte sich zuvorkommend zu Rötheli und sprach ihn mit zur Seite gelegtem Kopf und beruhigender Stimme an. »Schau, Rötheli. Du kannst ganz beruhigt sein. Der Fall ist
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