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Kommt Schnee

Kommt Schnee

Titel: Kommt Schnee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roger Aeschbacher
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ihrer schlechten Luft, die zu selten auffrischt. Basel war kein New York, wo ständig frischer Wind vom Meer her kommt. Es war nicht einmal ein Zürich, wo die Luft vom See und von den Bergen her in die Stadt hinein bewegt wird, oder vom Föhn oder der Bise grad ganz erneuert wird.
    Andreas Baumer drehte sich weg und machte sich missmutig auf den Weg zurück in sein Büro. Dort ging er an seine Arbeit. Um einen Fall zu lösen. Oder wenigstens zu vergessen.

    *
    Gegen Abend hatte Andreas Baumer, Kriminalkommissar in Basel und noch lange nicht in Rente, alle notwendigen Informationen zu Boban Stankovic gesammelt. Er hatte in Erfahrung gebracht, wo Stankovic, der Erschlagene, wohnte und wer seine Eltern waren.
    Diese Abklärungen hatte Baumer nebenbei gemacht. Er hatte sie auf den ganzen Nachmittag verteilt. Wenn jemand ins Büro kam, dann war er mit anderem Krimskrams beschäftigt. Akten ausmisten und wegwerfen. Blumen gießen. Tisch nass abwischen. Zeitung lesen. Immer wieder mal steckte einer der unteren Chargen seinen Kopf in Baumers Büro. Baumer hatte es nicht anders erwartet.
    Die Spione von Windler wollten wissen, ob nicht doch etwas hinter dem Rücken ihres Herrn liefe. Es lief nichts. Einer war sichtlich enttäuscht, dass er Baumer beim Abstauben des Aktenschrankes vorfand. Insgeheim hatte er mehr vom Kommissar erhofft. Danner hatte zwischenzeitlich auch einmal angerufen, aber Baumer nahm den Anruf auf seinem Handy nicht an.
    Als der Kommissar einmal bewusst aus dem Fenster schaute, war es draußen bereits dunkel, auch weil der Himmel immer noch bedeckt war. Also beschloss er, dass es für heute genug sei, und ging nach Hause.
    In der Hochstraße angekommen, sah er vor seinem Hauseingang Frau Heberlein stehen, die Schwester des Autisten. Sie redete auf ihren Bruder ein. Der stand da wie ein Nussknacker. Die Hände eng am Körper anliegend, zu Fäusten geballt.
    »Franz. Jetzt ist’s genug. Komm herein! Du holst dir noch eine Erkältung«, sprach seine Schwester zu ihm.
    Als Baumer näher kam, bemerkte ihn die elegant gekleidete Frau, die etwa zwei Mal pro Woche bei ihrem Bruder nach dem Rechten schaute. »Grüezi, Herr Baumer«, begrüßte sie ihn herzlich, und es schien, als fiele ihr zugleich ein Stein vom Herzen.
    Baumer nickte und brummelte irgendetwas zu der Frau, die im Gegensatz zum kleinwüchsigen Heberlein in allen Dimensionen ein wenig größer geraten schien.
    »Bitte, Herr Baumer, sagen Sie ihm, er soll jetzt mit hereinkommen. Er hat viel zu lange auf mich gewartet. Er ist schon ganz verfroren.«
    »Kommt kein Schnee. Kommt kein Schnee«, plapperte Heberlein mechanisch.
    »Ja, trotzdem kannst du dich erkälten, Franz. Komm jetzt nach oben.«
    Heberlein machte keinen Wank.
    Seine Schwester, die immer rührend um ihren Bruder besorgt war, sah Baumer treuherzig an, dann drehte sie sich zu ihrem Bruder, fasste ihn an beiden Handgelenken. »Du musst jetzt reinkommen, Franz. Auch der Polizist Baumer sagt dir das.« Sie sah zu Baumer und flehte ihn mit aufgeworfenen Augen still an.
    Baumer sah auf den kleinen Kerl herab, der so unfähig war, sich selbst zu managen. Er hatte Mitleid mit dem Mann in der Statur eines 12-Jährigen. Er trat ein paar Schritte näher und blickte Heberlein an. Dieser schaute geradeaus ins Nichts und sagte: »Kommt kein Schnee.«
    »Gehen Sie nach oben, Herr Heberlein.«
    Heberlein drehte sich sofort um. Baumer erinnerte dies an die vollidiotischen Reih-um-kehrt-Übungen beim Militär. Heberlein wackelte in seiner Marionettengangart davon.
    Heberleins Schwester sah Baumer erstaunt, aber nicht minder dankbar an. Ihre Augen hatte sie wie die einer Puppe aufgeschlagen.

    »Merci.«

    Dieses Wort sprach sie ganz leise und lächelnd. Dann packte sie ihre Tasche und ging Heberlein hinterher. An der Tür drehte sie sich noch mal um und lächelte Baumer dankbar zu. Die linke Hand, auch sie einen Zacken größer als der Durchschnitt aller Hände, hatte sie schüchtern gehoben und winkte einen winzigen Abschied zu Baumer.
    Baumer nahm die eindeutigen Signale der Frau nicht wahr. Baumer dachte an seine eigenen Probleme. Wie gering sie doch waren im Vergleich zu denen Heberleins. Nahm der irgendetwas von seiner Umwelt wahr, außer, dass er den Schnee riechen konnte? Und er selbst?, fragte sich Baumer. Nahm er noch irgendetwas wahr von seiner Umwelt, jetzt wo Maja weg war? Wo sie ihm fehlte. Wo sein Herz herausgerissen war?
    Baumer versuchte, ins Haus zu gehen. Er bewegte sich wie ein Greis,

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