Kommt Schnee
sich und machten den ersten Schritt in die Schlacht.
8
Wie plant man den Weg, wenn man das Ziel nicht kennt? Diese Frage stellten sich Wachtmeister Heinzmann und Kommissar Baumer. Sie wollten eine Tat aufdecken – welche Tat? – und mussten Schritt um Schritt vorgehen. Doch in welche Richtung? Und was würde am Ende herauskommen? Die Auflösung der Tat oder die Auflösung ihrer Arbeitsverhältnisse?
Eines war sicher. Die ganze Sache war nicht koscher. Nicht sauber. Nicht clean. Dass Windler den Fall so schnell wie möglich beilegen wollte, hatte dabei noch die geringste Bedeutung. Windlers oberstes Ziel war eine saubere Stadt für saubere Geschäftsleute. Sein Ziel war es, Dreck von seinem geliebten Basel fernzuhalten oder ihn flugs unter den Teppich zu kehren. Heinzmann hingegen war nicht Politiker, sondern Polizist. Er war es mit Leib und Seele. Baumer schließlich hatte nichts anderes zu tun. Auf ihn, wie auch auf Heinzmann, wartete niemand zu Hause.
Als sie sich im Zelt von Alis Buvette von ihren Stühlen erhoben, war alles geregelt. Jeder hatte eine Aufgabe. Heinzmann würde zu dem Mädchen gehen, das Toni als Geisel genommen hatte, und schauen, ob er präzisere Informationen über den genauen Tathergang aus ihm herausholen könnte. Groß tarnen würde er seine Bemühungen nicht müssen. Das liefe unter echter Besorgnis und Anteilnahme um das Mädchen. Baumer würde im Umfeld des Erschlagenen ein bisschen Staub aufwirbeln. War dieser Mann ein Zufallsopfer? Oder gab es doch eine irgendwie geartete Verbindung zwischen Boban Stankovic und Toni Herzog? Das wollte Baumer herausfinden.
Zusammen fuhren Andi Baumer und Stefan Heinzmann daher zurück nach Basel, den neuen Campus von Novartis hinter sich lassend. Dort wo diese Pharmafirma Millionen ausgab, um durch herausragende Architektur von Diener & Diener, Sanaa, Peter Märkli oder Frank Gehry ihre Leute mit dem Innovationsvirus zu infizieren.
Als die beiden Polizisten über den Voltaplatz fuhren, kam ein Alarm herein. Schwerer Autounfall in der Schwarzwaldallee. Heinzmann wurde hinzugerufen und musste den Krankenbesuch bei der Bedienung des Bistros verschieben.
»Lässt du mich raus?«, fragte Baumer.
Heinzmann fuhr rechts ran, Baumer stieg wortlos aus, auch Heinzmann sagte nichts mehr, die Tür fiel zu, und Heinzmann brauste los. Er schaltete die Sirene an – Stufe 3 – und bahnte sich einen Weg durch den Mittagsverkehr. Zwei Leute in Bauarbeiterkluft drehten sich nach der Sirene um.
»Hösch, Digge«, sprach der eine in breitem Baseldeutsch zum anderen. »Der hat wohl Kohldampf.« »Riesenarschloch«, brummelte der andere, der nicht gesehen hatte, dass Baumer aus eben diesem Auto ausgestiegen war. Zwei der typischen Basler Arbeiter eben, die in keinem Reiseführer erwähnt werden.
Der Kommissar schaute Heinzmann nach, wie der sich mühsam durch die Autoschlangen drücken musste. Auch in Basel geben Autofahrer ungern den mühsam erkämpften Platz in einer Autoschlange frei. Warum auch den Weg frei machen, für diese »Schmier«, diese »Schugger«?
Baumer fühlte sich plötzlich elend. Er fand, dass diese Stadt Menschen wie Heinzmann und ihn selbst gar nicht verdient hatte. Er dachte an Zürich, das er während seiner zwei Semester als Psychologiestudent kennengelernt hatte und immer noch sehr gern mochte. Und er dachte an Paris. An die Stadt von Maja.
Maja.
Wie sie ihn umarmte. Wie er ihren Flaum auf der Wange spürte, als sie ihm die Hände liebend um den Hals legte und ihren Kopf an seinen legte. Wie ihre Brüste auf seine Brust trafen und ihn mit Energie vollluden. »Ach Maja. Ich liebe dich«, sprach er zu sich selbst und schämte und hasste und verachtete sich zugleich. Er bemühte sich, rasch an irgendetwas Negatives über Maja zu denken, aber es fiel ihm so schwer. Er liebte diese Frau unendlich. Dann sah er in Gedanken Maja vor sich stehen. Sie schaute ihn an, freundlich, oh so freundlich, und sagte: »Andi. Ich habe dich gern.« Er getraute sich nicht zu fragen, ob sie ihn nur gern habe oder ihn wirklich liebe. Insgeheim wusste er die Antwort. Er schluckte die Frage hinunter und verstaute sie im Magen. Er würde Maja erst fragen, wenn sie sich besser kennen würden.
Plötzlich erschrak Baumer. Ein Motorrad fuhr bestialisch knatternd vorbei, und ein ätzender bläulicher Dunst fuhr Baumer stechend in die Nase. Das Gas schlug ihm in die Innenseite der hinteren Schädeldecke. Baumer war sofort wieder in der Realität, in dieser Stadt mit
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