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Kommt Schnee

Kommt Schnee

Titel: Kommt Schnee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roger Aeschbacher
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Für Baumer sah sie aus wie eine zu prall aufgepumpte Sexpuppe.
    »Nein. Danke«, sagte Baumer rasch und bewegte sich an der fürsorglichen Schwester von Heberlein vorbei. Murmelte noch etwas wie »geht schon«, »nicht so schlimm«. Er hörte kaum, was er sprach. Die Frau schaute ihm nach, besorgt. Aber sie insistierte nicht, ihm helfen zu wollen.
    Als die Wohnungstür hinter Baumer zufiel, schleppte er sich an den Bistrotisch. Dort begann er zu weinen. Weinte hemmungslos. Später fiel er in einen tiefen Schlaf.

10
    Am nächsten Morgen wurde Baumer von den üblichen Bahnhofsgeräuschen geweckt. Er setzte sich im Bett auf, rieb sich den Sand aus den Augen. Dann schob er seine Beine über die Bettkante und stand auf. Mit noch ungelenkem Gang trat er an die Balkontür. Unter sich sah er weißen Flaum auf den Schotterbetten liegen, die die Schienen trugen. Auch auf den Dächern, die die Fahrsteige überdeckten, lag eine weiße Decke, als wären sie mit Styropor bestückt worden. Nun war also doch noch ein wenig Schnee gekommen, Heberleins Gespür war demnach nicht untrüglich.
    Baumer schrieb sofort nach dem Aufstehen eine SMS an Heinzmann. Sie lautete: »Noch wach? Was Neues?« Dieser antwortete »Bin immer wach. Nix Neues.« Also duschte Baumer und zog sich an. Beim Anziehen erinnerte er sich daran, dass die Schwester von Heberlein etwas von Erkältung gesprochen hatte. Also zog er sich einen Schal um den Hals und packte sich wärmer als üblich ein.
    Während er dies tat, lüftete er die Wohnung. Von den Lautsprechern des Bahnhofs ertönte die Stimme der Ansagerin: »Eine Mitteilung an die Reisenden. Einfahrt des Interregios aus Bern heute auf Gleis 14 statt 10. Interregio aus Bern. Einfahrt auf Gleis 14 statt 10.«

    Es war 6 Uhr 54.

    Baumer schloss die Fenster und sah den Zug aus Bern unter seinem Balkon einfahren. Die Fenster der Wagen waren beschlagen, nur hier und da war ein Guckloch frei gewischt, durch das man schemenhaft Leute sah. Einige standen bereits auf. Das waren die Pendler, die einen Anschluss erreichen mussten und wie immer an den Ausgängen drängeln würden.
    Ein paar Minuten später ging Baumer die Treppe hinunter. Er war hungrig und freute sich darauf, sich einen der großen Buttergipfel einzuverleiben, die es im ilcaffè gab.
    Vor dem Eingang sah Baumer Heberlein stehen. Der Kommissar wunderte sich. Heberlein schon auf? Der Autist war doch sonst nie so früh unterwegs. Wenigstens war er heute besser eingepackt als gestern. Auch Heberlein trug ein Halstuch, aber seine rote Nasenspitze zeigte an, dass er fror.
    Baumer ging auf den Autisten zu. Dieser legte sofort los. »Kommt kein Schnee. Kommt kein Schnee.«
    »Ja, kommt kein Schnee. Herr Heberlein. Gehen Sie hinein, bitte.«
    »Muss zur Migros. Muss zur Migros.«
    »Vielleicht später. Aber jetzt sollten Sie hineingehen. Sie erfrieren ja noch.
    »Kommt kein Schnee. Kommt kein Schnee.«
    »Trotzdem können Sie sich erkälten.«
    »Muss zur Migros. Muss zur Migros.« Damit spazierte Heberlein los.
    Baumer gab es auf. Wenn der Autist unbedingt in die Migros will. Bitteschön. Dort ist’s auch warm. Soll er doch mit ein paar alten Damen Kaffee trinken gehen. Baumer wollte ins ilcaffè und dort spüren, dass er noch lebte. Wenigstens in der Erinnerung. Mindestens für ein paar Minuten. Wollte nicht daran denken müssen, ob es irgendeinen Sinn gab, einen nächsten Schritt zu tun. Wie jeder Schritt ohne Maja, würde es ohnehin nur der Schritt eines lebenden Toten sein.
    Endlich im ilcaffè angelangt, lebte er für einen Moment auf. Ja, er verspürte sogar so etwas wie einen Hauch Freude, als Gianni um ihn tänzelte und ihn mit Worten, Gesten, und – ja! – kleinsten Berührungen umschwärmte. Baumer biss herzhaft in ein großkalibriges Croissant und trank seinen Espresso. Heute trank er ihn schwarz. Er brauchte die Bitterkeit und Schärfe des Getränks wie ein Boxer das Riechsalz. Den zweiten schob er unbewusst ein klein wenig weiter weg als sonst. Baumer stand am Fensterbrett, aber hatte sich ins ilcaffè hineingedreht. So merkte er nicht, als Heinzmann gegenüber, halb auf dem Bürgersteig, halb auf der Straße, anhielt und zu ihm in die Kaffeebar kam. Der Gefreite Meier stieg ebenfalls aus dem abgestellten Mercedes, ging aber durch das Pfluggässlein in Richtung Freie Straße mit ihren mondänen Uhrenläden.
    Als Heinzmann ins ilcaffè trat, wurden die Gespräche der wenigen Gäste nur unmerklich leiser. Polizisten werden wie überall nicht

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