Kommt Schnee
halb zwölf, gell. Wart noch ein paar Minuten, ich bringe dir dann den Kartoffelsalat mit Wienerli.« Sie drehte sich zu Baumer. Weil sie in ihrer Fülle ziemlich unbeweglich war, stellte sie in tippelnden Schritten ihren ganzen Körper zu ihm hin. »Wissen Sie, das ist sein Mittagessen. Das bringe ich ihm immer. Einmal habe ich ihm drei Wienerli gebracht anstatt zwei. Ich wollte ihm eine Freude machen. Hui, das Theater hätten Sie sehen sollen.«
Die Kassiererin ging, Baumer bemerkte, dass er seinen Kaffee noch überhaupt nicht angerührt hatte. Er wollte die Tasse zum Mund führen, setzte sie aber nochmals ab und wendete sich wieder Heberlein zu. Fragte den Autisten nochmals. »Pogimex. Portugal Import-Export? Sagt Ihnen das etwas?«
Nichts. Heberlein schwieg.
Gab es also doch keine Verbindung zwischen Stankovic, der die Rocker mit Stoff bediente, und Gomez, dem Portugiesen? Das schien fast unmöglich. Baumer war sich sicher, dass Stankovic nur ein Mittelsmann war, aber Gomez im Hintergrund die Fäden zog. Stankovic’ Firma war nur Schein. Aufgezogen als Fassade, um in aller Ruhe reisen und dreckige Geschäfte tätigen zu können. Stankovic war mehrmals in Portugal gewesen. Dort traf er Gomez. Und er traf Gomez im Bistro auf der Passerelle. Vielleicht außer Fahrplan und in Not, weil die Drogen zu konzentriert in Umlauf gekommen waren. Wahrscheinlich war das Treffen im Bistro eine Art Krisenkonferenz. Eine Krisenkonferenz, die von Toni, dem Schlächter, ein bisschen aufgemischt wurde.
Baumer versuchte es ein letztes Mal.
»Gomez. Alvaro. Portugal. Geschäftsmann. Pogimex?«
Baumer schaute auf den Autisten. Sah in dessen Augen, die er leicht gesenkt hatte. Seine Augenlider zuckten noch einmal, aber das müssen Augenlider immer mal tun. Seine Hände hielt er vor sich auf dem Tisch, als ob er Schreibmaschine schreiben wollte. Sie bewegten sich nicht. Der ganze Mensch bewegte sich nicht. Kein Hinweis auf irgendetwas.
Baumer versuchte nachzudenken. Es fiel ihm schwer. Er sah in seine Kaffeetasse. Nahm endlich einen Schluck. Der Kaffee tat seine spirituelle Wirkung sofort. Baumer machte einen tiefen Atemzug. Dann fuhr er sich mit beiden Händen übers Gesicht, wie wenn er ein Waschtuch darüberführen würde. Er dachte nach. Auf Gomez reagierte Heberlein nicht. Das war überraschend, aber letztlich verständlich. Wahrscheinlich hatte die Gang nie von Gomez gesprochen, weil er sich nobel im Hintergrund gehalten hatte. Das erklärte auch, warum Toni, nachdem er Stankovic erschlagen hatte, nicht auch noch auf den Portugiesen losgegangen war. Er hatte ihn ganz einfach nicht gekannt.
Baumer machte Anstalten aufzustehen. Er saß mit dem Rücken zur Kasse und abgewandt zur Gang der Deadly Skull’s. Er hatte über einen kleinen Spiegel an der Wand die Truppe immer im Auge behalten. Sie saßen dumpf da, hin und wieder hörte man einen lauten Fluch von einem der Typen. Soeben standen ein paar miteinander auf und kamen in seine Richtung. Offenbar wollten sie Essen holen und mussten dazu an der Kasse vorbei. Zum Glück trat zugleich die füllige Kassiererin zu Baumer und begann ein kurzes Gespräch. Sie hatte sich von hinten über Baumer gebeugt und verdeckte ihn mit ihrer Körperfülle vor dem Blick des Gorillas. Zwei Mitglieder der Gang bemerkten Baumer zwar, als sich die Kassiererin verschob, aber sie kannten diesen Gast nicht und hatten keine Ahnung, dass er ein Polizist war.
Plötzlich sagte Heberlein: »Nachtzug Lissabon-Basel. Zwischenstationen in Madrid-Lyon-Genf. Basel an 8 Uhr 22.«
Baumer war hellwach. »Was haben Sie gesagt?«
»Nachtzug Lissabon-Basel. Zwischenstationen in Madrid-Lyon-Genf. Basel an 8 Uhr 22.«
»Jetzt kann er auch noch den Fahrplan auswendig«, staunte die Kassiererin, die in einem Dialekt mit berndeutschem Einschlag sprach. »Was er nicht alles kann. Ein richtiges Wunderkind. Lissabon. Ja. Da möchte ich auch einmal hin. So viele Blumen. Da ist es sicher wunderschön im Sommer.«
*
Baumer nutzte die Gelegenheit zum Verschwinden, als der Gorilla und seine Kumpels sich an der zweiten Buffetstation – Schweinskotelett, Bratkartoffeln, Tagesgemüse – bedienten und ihn nicht beachteten. Der Kassiererin hatte er noch einen Fünfliber in die Hand gedrückt, sich bedankt und hatte sie gebeten, gut auf Heberlein aufzupassen. Dann verdrückte er sich. Vor der Migros rief er per Handy Heinzmann an.
»Wo bist du?«, fragte er seinen Freund.
»Ich schlafe«, antwortete Heinzmann
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