Kommt Schnee
plapperte Heberlein.
Dieser Satz versetzte Baumer in Erregung. Also doch. »Ja, Heberlein, ich verstehe. Es kommt ein Riesenschneesturm auf Basel zu, aber es kommt kein Schnee heute.«
Heberlein schlug seine Hände, die er zuvor akkurat vor seinem Bauch parallel zueinander auf dem Tisch geparkt hatte, schnell gegeneinander. Da er die Handflächen in rasanter Folge, aber nur um jeweils einen Zentimeter hin- und herbewegte, entstand kein Klatschgeräusch. »Kommt kein Schnee, kommt kein Schnee«, repetierte er.
»Sie haben es gehört, wenn Schnee kam und verteilt werden musste. Richtig?«
Heberlein schwieg wieder, aber sein lautloses Klatschen ging noch einen Moment weiter.
Baumer wusste, dass sein autistischer Nachbar ihm zustimmte. »Ich nehme an«, fuhr er fort, »dass diese Typen Kuriere sind. Die bringen den Stoff, der hier in Basel umgeschlagen wird, per Motorrad in die Provinz.«
Heberlein stimmte zu. Baumer sah es nicht, aber er war sich sicher, dass es einfach so sein musste.
»Sie haben versucht, mich darauf aufmerksam zu machen. Sie hatten deren Gespräche hören können. Ich kann es nicht. Es gibt hier viel zu viele Geräusche und die Typen sitzen zu weit weg. Aber Sie haben diese Fähigkeit« – beinahe hätte Baumer Krankheit gesagt – »alles ungefiltert aufzunehmen.«
Heberlein stimmte zu. Musste zustimmen. Wie hätte Baumer es erkennen können? Er konnte es nicht erkennen.
»Vor fast einer Woche kam eine Fuhre Kokain an. Richtig?«
»Kommt Schnee, kommt Schnee«, sagte Heberlein.
»Dieser Schnee war hochkonzentriert. War vielleicht ein Versehen. Offenbar war er noch nicht verschnitten.«
Wieder erkannte Baumer keine Reaktion in Heberleins Mimik. Darüber hatte die Gang wahrscheinlich nicht gesprochen. Doch Baumer war sich sicher, dass er die Geschichte nun zusammen hatte. Regazzoni hatte von viel zu hohen Messwerten gesprochen. Das musste ein Teil des ganzen Puzzles sein. Aus irgendeinem Grund war hochkonzentrierter Schnee nach Basel geliefert worden. Irgendwie war dieser Teufelsstoff zu früh in den Handel gekommen und hatte die Katastrophe ausgelöst. Baumer redete weiter, damit er sich selbst reden hören konnte. Er wollte die Geschichte zu Ende erzählen, bevor sie in seinem Kopf wieder auseinanderbrach.
»An diesem hochkonzentrierten Kokain starb ein Geschäftsführer eines Grafikbüros. Auch die Freundin eines dieser Rocker starb daran. Dieser Rocker nahm dann Rache und erschlug einen Zwischenhändler, einen Ex-Jugoslawen.«
»Stankovic. Stankovic«, papageite der Autist.
Baumer zuckte zusammen. Also doch! Es war Stankovic, der die Rocker mit Stoff aufmunitionierte, den sie dann verteilten. Nach Zürich. Nach Bern. Vielleicht sogar bis Genf. Aufgehalten würden sie auf ihren Touren nicht. Von Polizisten schon gar nicht. Die hatten Schiss vor diesen Rockern. Diese Typen kontrollierte man nicht ungestraft. Die Gang hatte sich einen Freiraum erobert, den kein Polizist zu betreten wagte. Baumer hatte das am eigenen Leib erfahren, als er in ihrer Werkstatt geschnüffelt hatte und der Gorilla fast auf ihn losgegangen wäre. Selbst sein Polizeiausweis hatte ihn nicht davon abgehalten, eine Schlägerei mit ihm anzetteln zu wollen.
Baumer schaute dem Autisten tief in die Augen und blickte in seine Seele. Heberlein blickte Baumer ebenfalls an. Im Gesicht Baumers konnte eine normal begabte Person ohne Anstrengung die große Befriedigung ablesen, die der Kommissar spürte. Aber Baumer wusste, dass Autisten massive Probleme haben, menschliche Regungen zu entziffern. Heberlein würden seine Gefühle daher wohl entgehen. Also erklärte er ihm klar und deutlich: »Ich bin sehr glücklich. Sie helfen uns, den Fall aufzulösen. Danke.«
Ob Heberlein ihn verstehen konnte, wusste Baumer nicht. Es schien ihm, als redete er mit einem Computer, der nur auf ganz bestimmte Inputs hin zu rechnen begann.
Dann stellte Baumer noch eine Frage. »Haben Sie den Namen Gomez schon einmal gehört?«
Heberlein schwieg, seine Hände ruhten still. Das schien ein Nein zu sein.
»Ein Portugiese? Sprechen die Rocker manchmal von einem Portugiesen?«, drängte Baumer
Keine eindeutige Antwort von Franz Heberlein.
Die Kassiererin war plötzlich da und fragte Baumer. »Wollen Sie etwas essen? Bald kommen die Heinis aus den umliegenden Büros angerauscht, dann gibt es eine große Schlange.«
»Nein, danke, ist nett von Ihnen. Aber im Moment nicht.«
»Und du Franz. Hast du schon Hunger? Nein. Ist ja auch noch nicht
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