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Kommt Schnee

Kommt Schnee

Titel: Kommt Schnee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roger Aeschbacher
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Niemand wollte diesen Typen in die Nähe kommen. Am nächsten von ihnen saß eine verkümmerte Alte, deren breites Kinn wie das von Popeye dem Seemann bis an ihre Nase reichte. Lange schwarze Haare sprossen aus zwei großen Muttermalen am Kinn. Auch ein graues war dabei. Nahe am Eingang, leicht von der Zahlstation mit Kasse und Geschirr verdeckt, saß Heberlein kerzengerade in der kleinen Nichtraucherecke, die Hände vor sich auf dem Tisch akkurat nebeneinandergelegt. Die Arme bildeten zur Tischkante einen rechten Winkel.
    Baumer drückte sich in das Restaurant, im selben Augenblick, als ein paar Rentner vor die Kasse traten um zu zahlen. Sie waren zwischen ihm und den Bikern und so konnte er sich von ihnen unbemerkt hinter der Kassenstation zu Heberlein schleichen. Er setzte sich tief in den Stuhl und zeigte der Bande nur seinen Rücken.
    Heberlein saß da und sagte nichts. Dass plötzlich jemand bei ihm am Tisch saß, veranlasste ihn zu keiner Reaktion.
    Auch Baumer sagte nichts und schaute Heberlein an. Der bekam rote Bäckchen. Begann er zu lächeln? Wahrscheinlich bildete Baumer sich das nur ein.
    Eine ältere, ziemlich robuste Kassiererin trat hinzu und sprach Baumer rabiat an. »Grüezi, kennen Sie diesen Herrn?«
    »Ja, wieso?«
    »Sind Sie sicher?«
    »Aber ja, wird sind Nachbarn. Ich wohne in der Hochstraße, Herr Heberlein wohnt über mir.«
    »Ah, ja. Dann. Ich bitte um Entschuldigung«, sagte die 60-Jährige mit der Figur eines Panzernashorns plötzlich ganz liebenswürdig. »Wissen Sie, Franz kommt öfters hierher und wir passen ein bisschen auf ihn auf. Dass ihn niemand belästigt.«
    »Das ist nett von Ihnen.«
    »Ich kenne seine Schwester gut. Ich treffe sie jeden Donnerstagabend beim Roten Kreuz.«
    »Aha«, sagte Baumer. »Nett, dass Sie nach ihm schauen. Kann ich einen Kaffee bestellen?«
    »Bestellen? Hier ist Selbstbedienung.«
    Heberlein begann plötzlich die Menükarte von oben her herunterzubeten. »Kalte Getränke. Coca-Cola, 2 dl, 2 Franken 50. Coca-Cola, 3 dl, 3 Franken 50. Sprite, 2 dl, 2 Franken 50. Sprite, 3 dl …«
    »Lass nur, Franz. Franz! Lass gut sein. Der Herr weiß schon, was er will.« Und zu Baumer gerichtet. »Bleiben Sie nur sitzen.« Sie drückte Baumer ein Stück warmes Fleisch – ihre Hand – auf den Unterarm. »Ich hole Ihnen schnell einen Kaffee. Das mache ich gern.« Damit ging sie zur Kaffeemaschine und ließ Baumer einen Kaffee heraus. Kurze Zeit später brachte sie ihn an seinen Tisch, Crème und Zucker hatte sie beigelegt. Dann ging sie zur Zahlstation zurück. Dort drückte sie sich umständlich in die kleine Box mit der Kasse, wo sie eine Gruppe der Rentner bediente, die geduldig in Reih und Glied angestanden waren und ohne zu murren gewartet hatten.
    Baumer schaute auf Heberlein. Der saß wie zuvor da. Sein Oberkörper war aufgerichtet. Sein Kopf lag mittig auf den Schultern. Baumer hatte keinen Zweifel, dass auch unter dem Tisch, der restliche Körper von Heberlein akkurat gerichtet war. Im Gesicht hatte der Autist ein zierliches Lächeln. Oder war das erneut nur eine Einbildung von Baumer?
    Baumer rutschte in seinem Stuhl nach vorn. Er suchte den Blickkontakt zu Heberlein. »Sie hören alles, was man sagt. Richtig?«, sagte Baumer.
    Heberlein sagte nichts. Blinzelte er mit den Augen? Zog er seine Mundwinkel ganz kurz nach oben?
    »Sie verstehen alle Gespräche hier im Raum. Richtig?«, insistierte Baumer und versuchte, in Heberleins Mimik und Gestik zu erkennen, ob der Autist seine Frage mit ja oder nein beantwortete. Es war unmöglich. Heberlein gab keinerlei Anzeichen für eine Antwort. Wahrscheinlich wusste er gar nicht, wie man durch seinen Körper redet. Also sagte Baumer schließlich: »Herr Heberlein. Ich weiß, dass Sie mich verstehen. Ich bin sicher, dass Sie alle Gespräche hier im Raum gleichzeitig verfolgen können. Sie haben diese besondere Begabung.«
    Der Automat schwieg.
    »Sie können die Gespräche von allen Leuten zur gleichen Zeit wahrnehmen. Egal, ob die laut oder leise sprechen.«
    Heberlein blinzelte. So wie jeder Mensch mit den Augen ab und zu blinzeln muss.
    Baumer ließ sich nicht irritieren. »Sie haben die Gang da hinten, diese Typen mit Lederjacken, reden gehört. Richtig?«
    Keine Antwort von Heberlein.
    »Ich habe Sie jetzt verstanden, Heberlein«, sagte Baumer zum Autisten. »Die Typen dahinten sind Drogendealer.« Er wollte ihn am Unterarm berühren, getraute sich aber nicht.
    »Kommt kein Schnee. Kommt kein Schnee«,

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