kommt wie gerufen
daß dort die Hütte der Ziegenhirten stand. Es war eine kleine, primitive Steinhütte ohne Fenster. Dann schnappte sie hörbar nach Luft, denn in der offenen Tür stand eine Frau, die sich kaum von den Schatten der Felswand abhob.
»Was haben Sie?« fragte Farrell.
Stumm zeigte Mrs. Pollifax nach unten.
Farrell stützte sich auf seine Krücke und griff mit einer Hand in seine Tasche.
»Nein«, sagte Mrs. Pollifax gedehnt. »Sie dürfen sie nicht erschießen. Überhaupt kann sie um diese Zeit nicht allein sein. Bestimmt sind noch andere in der Hütte.«
»Sie hat uns gesehen«, brummte Farrell. »Jetzt heißt es sie oder wir, Herzogin.«
»Überzeugen wir uns doch wenigstens, ob sie allein ist«, bat Mrs. Pollifax. »Dann könnten wir sie doch einfach fesseln und knebeln, nicht wahr? Ein Schuß wäre meilenweit zu hören.«
Farrell zog die Hand aus der Tasche und seufzte. »So von Frau zu Frau, wie? Na, wie Sie wünschen, Herzogin. Jetzt ist schon alles egal.«
Nervös ging Mrs. Pollifax vor den beiden zur Hütte.
18
Die Frau sah genauso zeitlos und gelassen aus, wie die Felsen rund um sie. In ihrem aufmerksamen, sonnenverbrannten Gesicht lebten einzig die Augen. Als sie nur mehr etwa zwei Fuß von der Tür entfernt waren, blieb Mrs. Pollifax stehen, lächelte mit blassen Lippen und zeigte auf die Berggipfel. Dann zeigte sie auf sich und Farrell. »Inglese«, sagte sie.
Der gleichmütige Blick der Frau wanderte zum Felsen empor, kehrte zu Mrs. Pollifax zurück, um deren zerrissenes Kleid und die handgewebte Jacke zu mustern und blieb kurz an Farrells Krücke und dem wallenden Gewand des Dschinns hängen. Dann drehte sie sich mit jäher Bewegung der Hütte zu, und Mrs. Pollifax stockte der Atem. Aber die Frau blieb stehen, hielt das Ziegenfell in der Tür zur Seite und winkte ihnen, ihr zu folgen. Wieder ging Mrs. Pollifax voran. Sie hatte bemerkt, daß Farrells Hand schon in der Tasche steckte. In der Hütte herrschte Dämmerlicht, und nur in der Mitte des Lehmbodens brannte ein kleines Feuer. Das erste, was Mrs. Pollifax sah, war ihre Handtasche, die neben dem Herd auf der Erde lag, und da wurde ihr bewußt, daß ihr Abstieg seit längerer Zeit beobachtet worden war. Die Frau sprach mit den beiden Männern, die neben dem Feuer hockten. Der jüngere war ein etwa fünfzehnjähriger Junge, der ältere ein großer, kräftiger Mann mit grimmigem Schnurrbart und glühenden Augen. Die drei unterhielten sich einige Minuten lang. Das Gespräch verlief nicht hitzig, und zwischen den einzelnen Sätzen gab es immer wieder nachdenkliches Schweigen. Mrs. Pollifax hätte gern gewußt, ob Farrell oder der Dschinn genauso unruhig waren wie sie, als sie es stumm geschehen lassen mußte, daß über sie gesprochen wurde, ohne daß sie etwas davon verstehen konnte. Es gab keine Ketten, die sie hier festhielten, und doch hatte die Frau sie einfach dadurch, daß sie sie gesehen hatte, in der Hand. Ob sie wohl die Frau und ihre Angehörigen erschießen würden? »Ich bin für das alles zu alt und zu weich«, dachte sie.
Plötzlich stand der ältere Mann auf, ging zur Tür, schob das Ziegenfell beiseite und trat ins Freie. Mrs. Pollifax und Farrell sahen einander verschreckt an. Auch der Junge war aufgesprungen, holte Schemel herbei und forderte sie mit einer Handbewegung zum Sitzen auf. »Was halten Sie davon?« fragte Mrs. Pollifax Farrell leise.
»Ich weiß nicht«, sagte Farrell, humpelte zur Tür und spähte hinaus.
Die Frau hatte drei hölzerne Schüsseln herbeigetragen und füllte sie mit etwas, das wie klumpige Hafergrütze in Unmengen von Öl aussah. Mit höflichem Lächeln nahm Mrs. Pollifax ihre Schüssel entgegen und setzte sich. Auch Farrell kam zurück und setzte sich neben den Dschinn. »Ich weiß nicht«, sagte er nochmals.
Mrs. Pollifax nickte und löffelte den honigsüßen Brei aus. Was hatten die drei Männer besprochen? Wohin waren sie gegangen?
Sie wußte es nicht und konnte nur abwarten. Es war die Frau, die den nächsten Schritt tat. Sie ging zu einer Truhe in einer Ecke des Raums und holte verschiedene Kleidungsstücke hervor. Erstaunt fragte Mrs. Pollifax, ob diese Leute ihnen vielleicht helfen wollten.
Sie drehte sich zu Farrell um, den sichtlich die gleiche Unsicherheit quälte. Die Frau hatte einen schäbigen, spitzen Filzhut aus der Truhe geholt und setzte ihn dem Dschinn auf. Dann hielt sie abschätzend die lose geschnittene Volkstracht der albanischen Gebirgsleute an Farrells Körper. Mrs.
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