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kommt wie gerufen

kommt wie gerufen

Titel: kommt wie gerufen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dorothy Gilman
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unweigerlich am Fels zerschmettern, egal, wie fest Farrell ihre Knöchel auch hielt. Aber sie gehorchte und lernte dabei, wie geschmeidig sie ihre Hüften heben und schieben konnte, wenn ihr Leben davon abhing. Nach zehn Minuten, die ihr wie Stunden erschienen, stieß sie mit den Zehen gegen den festen Felsvorsprung, auf dem Farrell kniete. Als sie endlich neben ihn zu knien kam, gestattete sie sich den Luxus eines kurzen Schwächeanfalls.
    »Wir scheinen auf ein ziemlich kleines Felsband gefallen zu sein«, erklärte Farrell ihr.
    »Sie haben Ihr Bein doch nicht wieder verletzt?« wagte sie zu fragen.
    »Ich bin auf einen Esel gestürzt. Der Dschinn hat nicht soviel Glück gehabt. Er ist auf den ersten Esel gefallen und der zweite auf ihn. Aber es ist ihm nichts geschehen. So ein Wahnsinn! Schätzungsweise dürften wir aber nur etwa zwanzig Fuß abgestürzt sein!«
    »Nicht mehr?« staunte Mrs. Pollifax und dann wurde sie stocksteif, weil über ihnen Stimmen laut wurden.
    »Zurück«, wisperte Farrell ihr zu. »In der Wand ist eine kleine Nische unter einem Felsvorsprung. Finden Sie den einen Esel und halten Sie ihm das Maul zu, ich übernehme den zweiten.«
    »Und der Dschinn?«
    »Der Teufel hole den, der versteht uns nicht, also kann er auch nicht helfen. Wenn wir ihn sehen könnten, würde er bestimmt wieder Bücklinge und Kratzfüße machen.«
    Mrs. Pollifax fand einen Esel, tastete sich zu seinen Lippen und umklammerte sie mit beiden Händen. Die Esel waren in die kurze Höhle gekrochen und ließen keinen Platz für Menschen übrig. Mrs. Pollifax kroch fast auf die Tiere, als sie hörte, wie der General mit streitsüchtiger Stimme Befehle brüllte. Perdido lebte also – Farrell hatte recht behalten. Ein kräftiger Scheinwerfer leuchtete von oben in den Abgrund und Mrs. Pollifax preßte die Augen zu und hoffte, dadurch noch kleiner zu werden. Dann wanderte der Lichtkegel den Grat entlang und die Stimmen verklangen, als sich der Suchtrupp entfernte.
    Die unerträgliche Spannung wich von Mrs. Pollifax, und gleich darauf war sie fest eingeschlafen.
    Es war der Dschinn, der sie mit leiser Berührung an der Schulter weckte. Der Bauch des einen Esels hatte ihr als Kopfkissen gedient, und als sie den Kopf hob, bemerkte sie ungläubig, daß sie die ganze Nacht durchgeschlafen hatte. Im Osten wurde der Himmel schon deutlich heller. Im ersten Dämmerlicht sah sie, wie entsetzlich schmal das Felsband war, auf das sie gefallen waren. Unter ihren Schuhen fiel die Wand schroff zum Tal ab, daß ihr der Atem stockte.
    Selbst der Zweig, der sie aufgefangen hatte, sah nicht kräftiger als ein Arm aus. Farrell bemerkte ihr Entsetzen und sagte grinsend:
    »Die Götter waren uns gnädig, wie?«
    Mrs. Pollifax antwortete mit einem Frösteln. »Der Dschinn hat seine Ärmel gespendet, um den Eseln damit die Mäuler zu verbinden«, erklärte er. »Bis vor einer Stunde waren ab und zu Stimmen zu hören. Vermutlich wird die Nachricht von unserer Flucht jetzt per Funk in ganz Albanien verbreitet. Gehen wir lieber schleunigst, bevor es hell wird und die Suche von neuem beginnt.«
    »Gehen?« sagte Mrs. Pollifax ungläubig. »Gehen, sagen Sie? Wohin?«
    »Also nach oben ist’s ausgeschlossen«, sagte er spöttisch. »Und möchten Sie hier den Rest Ihres Lebens verbringen?
    Außerdem bekomme ich Hunger.«
    Mrs. Pollifax griff automatisch nach ihrer Handtasche, hielt aber ein, als sie Farrell den Kopf schütteln sah.
    »Ihre Handtasche hat weniger Glück gehabt«, sagte er. »Ich habe mich bereits umgesehen. Die ist weg. Dort unten, vermutlich.«
    »Wenn ich mir bloß die Zähne putzen könnte«, nörgelte Mrs. Pollifax plötzlich, und darin drückte sich ihre krasse Unzufriedenheit mit der Lage aus. Sie beugte sich ganz wenig vor – mehr wagte sie nicht, weil sie nicht schwindelfrei war-und blickte ins Tal hinab. Ihr erster Gedanke war, daß Farrell Selbstmordabsichten hegen mußte, wenn er annahm, sie könnten eine solche Wand bezwingen, aber schließlich waren ihre Neugier und ihr Interesse stärker als ihre Ablehnung. Die Wand fiel nicht senkrecht ab, sondern verlief fast unmerklich schräg. Da gab es lawinenartige Schutthalden, dann kurze Steilhänge, weitere Geröllmulden, bis der Fels unten in den grünen Abhang mündete, auf dem sie beim Spazierengehen Ziegen hatte grasen sehen. »Aber das schaffen Sie nie mit Ihrem Bein«, wandte sie ein. »Unmöglich.«
    Farrell grinste. »Sie vergessen etwas. Das Gehen fällt mir schwer, aber

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