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kommt wie gerufen

kommt wie gerufen

Titel: kommt wie gerufen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dorothy Gilman
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Allmählich bedauerte sie es ehrlich, diesen unanständig zähen Menschen befreit zu haben.
    Sie stießen derart unvermittelt auf die Straße, daß Farrell durch die Zähne zischte und sich rasch hinter einem Felsblock zu Boden fallen ließ. Der Dschinn ahmte ihn augenblicklich nach, und Mrs. Pollifax setzte sich dankbar neben die beiden. Die Straße war immerhin noch etwa eine halbe Meile entfernt, aber sie wimmelte von Männern. Sie trugen alle gestreifte Sträflingskleidung, waren in der Länge von etwa einer Meile auf die Straße verteilt, und klopften und schleppten in stumpfer Ergebenheit Steine. Bedeutend beunruhigender jedoch war die Anzahl der Aufseher. Mrs. Pollifax erkannte sie leicht, denn sie saßen auf großen Steinen, hatten ihre Gewehre über die Knie gelegt. Einige lagen faul im Schatten eines großen, schwarzen Autos. Die Straße war schnurgerade und verschwand am südlichen Horizont, während sie sich im Norden allmählich zu jenen Felsen emporwand, von denen sie geflohen waren. Über diese Straße war der General vom Flughafen gekommen, aber angesichts der unzähligen Menschen erwies sie sich als unbezwingliche Hürde. »Was sollen wir tun?« flüsterte Mrs. Pollifax hilflos.
    Farrell strich sich mit der Hand über die Augen. Unrasiert, mit blutunterlaufenen Augen und so entsetzlich fahl, wie er heute aussah, bot er einen fürchterlichen Anblick. Mrs. Pollifax bemerkte, daß seine Hand zitterte, und ihr graute bei der Vorstellung, welche Schmerzen er zu ertragen hatte. Mit brüchiger, wütender Stimme sagte sie: »Was für ein verdammtes Pech, jetzt müssen wir die Dunkelheit abwarten, ehe wir die Straße überqueren können. Einen ganzen langen Tag hier ohne Wasser festsitzen! Feine Bescherung.«
    Lieber Farrell, dachte sie, armer Farrell, und dann schweifte ihr Blick über ihn hinweg, und sie erstarrte. Ihre entsetzte Miene zwang Farrell und den Dschinn, sich ebenfalls umzudrehen. Keine ganze Meile von ihnen entfernt und deutlich im strahlenden Sonnenlicht sichtbar, kam ein halbes Dutzend Männer über die Ebene hinter ihnen. Was ihren Blick jedoch angezogen hatte, war das Aufblitzen eines Spiegels, auf das prompt Blinksignale von einem bewachsenen Vorgebirge zu ihrer Rechten antworteten. Die Suche nach ihnen war im Gange, und die Gegend wurde systematisch durchkämmt.
    Plötzlich stand der Dschinn auf.
    »Hallo!« schrie Farrell und griff nach ihm.
    »Setzen – setz dich!« schrie Mrs. Pollifax und vergaß völlig, daß er sie nicht verstehen konnte.
    Aber der Dschinn wich ihren Händen aus, setzte über den Fels und rannte direkt auf die Straße und die Menschen zu. »Straf mich Gott«, stammelte Mrs. Pollifax.
    »Ich habe Ihnen gesagt, daß ich ihm nicht traue«, herrschte Farrell sie an. Fluchend zerrte er die Pistole aus der Tasche. Seine zittrigen Hände hantierten ungeschickt an der Sicherung, und wie gelähmt von Sonne, Durst, Erschöpfung und Panik sah Mrs. Pollifax ihm zu, als er die Pistole auf dem Felsblock aufstützte. Unklar war ihr bewußt, daß sie den Schuß verhindern mußte, denn sie waren bereits von drei Seiten umzingelt, und es hatte keinen Sinn mehr, den Mann jetzt noch zu töten. Und doch rührte sie keinen Finger, um Farrell abzuhalten. Der Dschinn rannte so schnell er konnte, und da sie darauf bestanden hatte, den Dschinn mitzunehmen, traf sie sein Verrat wie ein persönliches Versagen. Sie hatte kein Recht, seine Erschießung zu vereiteln, sie empfand sogar die gleiche Wut und Enttäuschung wie Farrell, daß alle ihre Strapazen umsonst gewesen waren.
    Farrell fluchte neuerlich und ließ die Pistole sinken. »Zu spät«, stöhnte er. »Meine Hand zittert. Verflucht, verflucht.«
    Seine Stimme klang, als weinte er, deshalb vermied sie es geflissentlich, ihn anzusehen. Statt dessen starrte sie durch Staub und Hitze zum Dschinn hin, der sein Tempo verlangsamt hatte und sich den Wachen näherte. Gleich darauf hatte er ein Gespräch mit ihnen begonnen. »Natürlich, er ist ja Chinese«, fiel ihr bedrückt ein, und dieses Land wurde von den Chinesen beherrscht, also behandelten sie ihn mit Ehrerbietung. Vielleicht waren die Wachen selbst auch Chinesen. Sie sah sich um; die Männer im Tal rückten sehr zielsicher näher. Einige rannten sogar. Ihr Blick wanderte zu den Bergen, und sie konnte die Leute erkennen, die das Blinksignal gegeben hatten. Auch sie hasteten jetzt über den Abhang. In wenigen Minuten mußten die beiden Gruppen bei ihnen aufeinanderstoßen.
    »Nun?«

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