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Komoedie des Alterns

Komoedie des Alterns

Titel: Komoedie des Alterns Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Scharang
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konnte den Tee vor Erschöpfung nicht aufnehmen und spuckte ihn in den Becher zurück. Er lächelte. Er war nicht imstande, die Lider zu heben, es war ein halber Blick, mit dem er Freudensprung ansah, und er sprach langsam, doch in so makellosem Deutsch, daß Freudensprung seine Vermutung, es handle sich um einen Fremden, bestätigt sah.
    Sarani sagte: Als ich aus der Ohnmacht erwacht bin, aber noch keinen klaren Kopf hatte, habe ich vor mir ein Lebensmittelgeschäft gesehen. Ich kenne es, es liegt unweit meiner Wohnung, parallel zur Herrengasse, in der Nähe des Hauptplatzes in Graz. Seit ich dort lebe, seit einem Monat, kaufe ich mir, wenn sonst nichts, so jeden Tag eine Wurstsemmel, es müssen 150 Gramm Kalbspariser sein und ein Essiggurkerl. Ich gehe in das Geschäft. Der Geschäftsführer kommt auf mich zu und trägt mir auf, alle Lebensmittel, die in den Regalen gelagert sind, neu zu ordnen. Unmöglich, antworte ich, es sind zu viele Regale mit zu vielen Lebensmitteln. Das würde zu viel Zeit beanspruchen. Doch der Mann winkt ab. Zeit spiele keine Rolle. Für Sie nicht, entgegne ich, für mich ist das anders. Warum, glauben Sie, habe ich Ägypten verlassen und lebe nun in Graz? Um Regale aufzuräumen – oder um Maschinenbau zu studieren?
    Der Mann winkt ab. Ich solle heute beginnen, die Warenzu ordnen, morgen Maschinenbau studieren und dann die Arbeit an den Regalen fortsetzen. Ich fühle mich bedrängt und suche nach einem Argument. Ohne daß mir gesagt werde, so lege ich los, nach welchem Prinzip ich vorgehen solle, sei die Arbeit nicht zu machen. Ungläubig wiegt der Mann den Kopf, als könne er so viel Begriffsstutzigkeit nicht fassen. Niemand schreibe mir vor, antwortet er, wann und wie schnell ich die Regale aufräumen soll, man wünsche nur, daß sie neu geordnet werden.
    Sarani ließ sich, wieder ganz bei Sinnen, von Freudensprung einen neuen Becher Tee reichen, dann sagte er, er habe jene Antwort so empörend gefunden, daß er vollends aus der Ohnmacht erwacht sei. Er lächelte noch immer. Wie erleichtert sei er gewesen, fuhr er fort, sich neben dem Ofen wiederzufinden und nicht im Geschäft. Und er versicherte Freudensprung, die Arbeit bald wieder aufzunehmen. Es sei ihm unverständlich, wie er habe umfallen können, noch nie in seinem Leben sei er ohnmächtig geworden. Die Hitze, betonte er, könne jedenfalls nicht die Ursache gewesen sein. Auch machte er Freudensprung darauf aufmerksam, daß es Zeit sei, zum Ofen zurückzukehren, man solle den Kollegen, der eingesprungen sei, nicht über Gebühr beanspruchen.
    Glücklich darüber, daß Sarani bleiben würde, lief Freudensprung zum Ofen, löste den Kollegen ab, fischte Schlacke heraus, ärgerte sich aber auch, mit Sarani nicht über dessen Erzählung debattieren zu können. Freudensprung war keineswegs der Ansicht, Sarani sei im Lebensmittelgeschäft in die Enge getrieben worden; man habe ihm freie Hand gelassen, ihm allerdings eine Möglichkeit verwehrt: nein zu sagen.
    Ob diese Möglichkeit so wichtig gewesen wäre, fragte er sich, während er die Schlacke entfernte. Für Sarani schon; für Freudensprung nicht. Heiße das, Freudensprung hätte der Aufforderung, die Regale aufzuräumen, nachgegeben? Schlimmer noch, er fürchtete, er hätte, was Sarani als unverschämte Zumutung empfunden habe, als freundliche Einladung aufgefaßt.
    Freudensprung erinnerte sich, wie Zorn in ihm aufgestiegen war. Sei er jemand, den man, ohne ihn zu fragen, überall hinstellen könne, in einen Bergwerksschacht, auf einen Kriegsschauplatz, neben einen Hochfrequenzofen? Einer, der sich mit jeder Tätigkeit arrangiere? Wann und wo, im Kindergarten, in der Schule, im Gymnasium, sei ihm etwas als unerträglich erschienen? Und wenn, so habe er die Situation für sich erträglich gemacht. Die Möglichkeit, die Schule, das Gymnasium zu verlassen, habe es nicht gegeben, an sich vielleicht, aber nicht für ihn.
    Sei das für Sarani anders? Das Bedürfnis, mit ihm zu sprechen, wuchs, doch als Sarani neben Freudensprung stand, ihm die Eisenstange aus der Hand nahm, ihm gegen den Lärm anschreiend für die Hilfe dankte und ihn bat, in den Ruheraum zu gehen, hatte er eine Pause so nötig, daß er, im eigenen Schweiß watend, vom Ofen wegschlurfte.
    Als Freudensprung merkte, wie das Flugzeug sich in Bewegung setzte und die Klimaanlage kalte Luft auf die schweißnassen Köpfe blies – er fühlte sich nicht betroffen, er konnte sein kurzes Haar, welches den Schädel schütter

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