Komoedie des Alterns
mit Absicht herbeiführen. Er aber wisse es besser. Als er sieben Jahre alt gewesen sei, habe er zum erstenmal das Empfinden gehabt, sich verlieben zu wollen. Er habe als Schulkind im Schaufenster eines Fotografen das Porträt einer Frau gesehen. Nicht daß er sich in dieses Bild verliebt hätte. Er sei aber überzeugt gewesen, irgendwann einer Frau zu begegnen, die dieser Fotografie ähneln und die er lieben werde. Damit diese Frau sofort merke, daß er sie liebe, habe er ständig im Zustand des Verliebtseins gelebt. Und tatsächlich, als dann, in der zweiten Klasse der Volksschule, eine neue Lehrerin, jenem Fotoporträt unfaßbar ähnlich, den Unterricht übernahm, leider nur für ein Jahr, habe die schwelende Liebe sich auf der Stelle entzündet.
Bis zum heutigen Tag sei das Bedürfnis lebendig, sich zu verlieben, es müsse nicht das Bild einer Frau sein, das er in der Wirklichkeit suche, immer öfter sehne er sich nur nach Augenblicken freudvollen Lebens – das Wort freudvoll gewinne für ihn immer größere Bedeutung und dem entsprechend das Gegenwort, lieblos –, er sehne sich nach einem freudvollen Leben als nach einer Form des Verliebtseins. Lieblos sein, ohne Liebe sein, nicht verliebt sein bedeute für ihn tot sein bei lebendigem Leib. Und hier auf dem Wüstengrundstück sei er schon am dritten Tag vor Freudlosigkeit gelähmt gewesen, als er gesehen habe, daß ausnahmslos alle, sosehr sie es kaschieren wollten, indem sie tüchtig gearbeitet hätten, derart verdrießlich geworden seien, daß sie außerhalb der Arbeitszeit nicht mehr miteinander und später nichteinmal mehr mit sich selbst geredet hätten, zermürbt vom Wüstensand, der durch ihre Haut gedrungen sei und sich über ihre Seelen gebreitet habe.
Deshalb sei er mit Mustafa auf gut Glück nach Kairo gefahren. Er sei wie die anderen zwar aus freien Stücken hergekommen, doch man sei hier als Gefangener festgesessen. Er sei aufgebrochen in der Absicht, freudvolles Leben zurückzubringen und damit das Unternehmen zu retten. Aber wie? Er schäme sich nicht, zuzugeben, daß er auch überlegt habe, zurück nach Europa zu reisen. Für ihn rangiere das eigene Wohlbefinden nicht immer an erster Stelle, aber auch nicht an letzter. Die Eigenliebe, Aristoteles habe das die Altvorderen gelehrt und Musil die Heutigen, sei die Voraussetzung der Nächstenliebe, und er könne nicht sagen, wozu er sich in Kairo entschieden hätte, wäre ihm nicht Jenna Vanzetti begegnet.
Das Festzelt, erinnerte Sarani sich, leuchtete weithin, denn Mustafa, Meister solchen Arrangements, hatte unter der Plane, die den Plafond bildete, Scheinwerfer an das Gestänge montiert, die ihr starkes Licht gegen den Plafond warfen, der, da das Festzelt keine Seitenwände hatte, nicht nur zu schweben schien, sondern zu fliegen, wegzufliegen, langsam, zauberhaft, und Sarani wunderte sich die ganze lange Nacht, daß die Plane noch vorhanden war.
Mustafa arrangierte auch die Menschen, bis sie in einem großen Kreis um die Tische standen, die, aneinandergereiht, eine lange Tafel bildeten, geschmückt mit Rosen, dazwischen Kerzen als Tischbeleuchtung, und in diesen Kreis trat Freudensprung, nachdem von ihm, von Mustafa und von der Amerikanerin jeder und jedem ein Glas Sekt gereicht worden war, und hielt eineAnsprache, in der er sich in seinem und in Saranis Namen für die erbärmliche Unterbringung des Teams entschuldigte und von seiner Beobachtung sprach, daß Menschen, die unter unerträglichen Bedingungen leben, selbst unerträglich werden und sich in den Heroismus flüchten, daß sie sich als Helden der Arbeit gerieren, denen keine Widerwärtigkeit etwas anzuhaben vermag.
Das Fest an diesem Abend, habe Freudensprung gesagt, sei kein Trostpflaster auf die lebenswunden Seelen, sondern nach der ersten Phase der Farmgründung, die eineinhalb Wochen gedauert habe, der Beginn der zweiten. Ab dem nächsten Morgen werde die erste Wohnbaracke mit einem eigenen Raum für jeden einzelnen errichtet. Weder das Fest noch die Wohnbaracke seien eine Spende des Farmeigentümers, das wolle Freudensprung deshalb betonen, weil die Festgäste niemandem Dank schuldeten. Sie hätten in den eineinhalb Wochen mit den überaus erfolgreichen Bohrungen so viel geleistet, daß sie dieses Fest als ihr eigenes genießen sollten.
Das wurde, erinnerte Sarani sich, von einigen Bohrarbeitern falsch verstanden. Sie vermeinten gehört zu haben, daß sie sogleich nach den Köstlichkeiten, die am Rande des Festzeltes
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