Komoedie des Alterns
Dutzende Flaschen Wasser, etliche davon in einem kleinen Kühlschrank. Doch das Auto müsse man erst finden. Er wisse nicht mehr, wo er es abgestellt habe.
Der Parkplatz, wandte Freudensprung ein, sei nicht so groß. Heinrich sei längere Zeit nicht hier gewesen, sagte Sarani, man habe den Parkplatz um das Fünffache vergrößert. Ein Jahr, sagte er vorwurfsvoll, habe Heinrich sich nicht blicken lassen. In den vergangenen vierzig Jahren sei es nie vorgekommen, daß sie einander so lange nicht gesehen hätten. Doch, korrigierte Sarani sich, damals, als Heinrichs Sohn einen Autounfall hatte und danach querschnittgelähmt war, habe es auch lange gedauert, bis sie sich wieder trafen. Er habe nach Wien eilen und dem Burschen und den Eltern beistehen wollen, doch Heinrich habe davon abgeraten.
Was für ein Fehler, sagte Freudensprung, Zacharias sei der einzige Erwachsene gewesen, den Andreas, nein, nicht geliebt, aber akzeptiert habe, und wer Andreas kenne, der wisse, daß dies die höchste Form seiner Zuneigung gegenüber einem Erwachsenen sei. Andrerseits, wäre Zacharias gekommen und hätte Andreas nach dem schrecklichen Unfall Halt an ihm gefunden, was wäre gewesen, wenn Zacharias nach Ägypten zurückgefahren wäre?
Er hätte, sagte Sarani, für immer bei Andreas bleiben müssen und hätte es doch nicht gekonnt. Nicht wegen der Farm, nicht wegen der Akademie, auch nicht wegen der Kinder, die wären ohne ihn zurechtgekommen. Aber wegen seiner Frau. Er könne, dazu habe er sich gegenüber Heinrich noch nie geäußert, ohne Sophie nicht leben. Freudensprung sah ihn skeptisch an. Die Phrase, fuhr Sarani fort, daß man ohne jemanden nicht leben kann, werde zur Wahrheit, wenn es tatsächlich so sei. Wie Sophie das sehe, fragte Freudensprung. Sophie, sagte Sarani, habe immer ohne ihn leben können. Der Mensch brauche die Sonne, die Sonne aber nicht den Menschen.
Gegen Ende des Studiums, sagte Sarani, sei er in einem Konzert gewesen und in der Pause aus dem Saal gelaufen, nicht in das Foyer, wo Erfrischungen verkauft wurden, sondern ins Freie, weil er hoffte, in der frischen Luft rascher zu sich zu kommen. Das Amadeus-Quartett, damals für ihn das beste Streichquartett der Welt, habe in Graz Haydns Vogel-Quartett musiziert in einer Schönheit, welche ihm die Besinnung geraubt habe, und als er mit geschlossenen Augen, um der Benommenheit Herr zu werden, auf der Straße stand, vernahm er die Stimme einer Frau. Er solle sich nicht von der Stelle rühren, sie komme gleich wieder.
Er hätte, sagte Sarani, ohnedies keinen Schritt machen wollen. Auch sei er von dieser Stimme betört gewesen. Sie habe jung geklungen, noch dazu habe diese Frau ein Österreichisch gesprochen, wie man es in der südlichen Steiermark, schon gar in Graz, nicht zu hören bekam. Die Frau habe sich beeilt, sagte Sarani, und sei wieder vor ihm gestanden, in der einen Hand einen kleinen Mokka,in der anderen ein Glas Wasser, eine schöne junge Frau, von der er, weil er die Augen aufriß, um alles genau zu sehen, das Gesicht nur umrißhaft wahrnahm, starke, hohe Backenknochen, schmale, grüne Augen, brünettes Haar bis zur Schulter, eine Strähne sei, immer wieder zurückgeworfen, hartnäckig über das rechte Auge gefallen. Er habe nur den Wunsch gehabt, diese Frau anzusehen, immer anzusehen, bis ans Ende seiner Tage.
Sie habe nur den Wunsch gehabt, den Kaffee und das Wasser, das sie für Sarani gebracht hatte, loszuwerden. Verwundert habe sie festgestellt, daß Sarani keineswegs der Ohnmacht nahe war. Er sei nicht körperlich beeinträchtigt, erklärte er ihr, sondern überwältigt vom Haydnschen Quartett und dessen Interpretation. – Was sie nun mit dem Kaffee machen solle? Er habe ihr versichert, daß er ihn trinken werde, unter der Bedingung, daß er sie nach dem Konzert einladen dürfe, in ein Café oder ein Restaurant.
Er habe, nachdem sie das Glas Wasser auf den Gehsteig gestellt hatte, die Tasse in einem Zug leergetrunken, es habe ihn so geekelt, daß es ihn schüttelte, was sie komisch fand, jedenfalls lachte sie laut. Er habe gesagt, daß er noch nie in seinem Leben Kaffee getrunken, daß er von Kindheit an vermieden hatte, Kaffee zu trinken, weil seine Beobachtung in Kairo, wo er aufgewachsen sei, ihn gelehrt habe, daß unter den Kaffeetrinkern viele lebende Mumien waren, völlig ausgetrocknete Menschen.
Es habe sich gut gefügt, fuhr Sarani fort, daß nach der Pause Beethovens Streichquartett op. 130 mitsamt dem op. 133, der Großen Fuge,
Weitere Kostenlose Bücher