Konfessor - 17
von Sechs, der sie stets aus dem Weg gingen. Diese beachtete sie nicht weiter, da sie offenbar exakt das von ihnen erwartete. Rachel allerdings maßen sie mit ihren Blicken auf eine Weise, dass ihr das Mark in den Knochen gefror. Sie hatte Angst, von ihnen allein erwischt zu werden, wenn Sechs nicht dabei war, die sie ihr vom Leibe hielt. Allerdings war die Vorstellung, dass Sechs auf dem Weg hierher war, um ihr etwas anzutun, auch nicht eben besser. Damals, noch zu Lebzeiten Königin Milenas, war ihr das Leben im Schloss stets verhasst gewesen. Die meiste Zeit hatte sie in steter Angst gelebt, ständig hatte sie Hunger gehabt. Aber dies war anders, schlimmer - und das hätte sie niemals für möglich gehalten.
Aufmerksam lauschte sie auf die näher kommenden Schritte draußen und erkannte, dass es nicht die Schritte von Männerstiefeln waren, sondern leichtere - die einer Frau.
Demnach konnte es nur Sechs sein. Demnach war dies der Tag, den sie die ganze Zeit gefürchtet hatte. Sechs hatte ihr angedroht, sie bei ihrer Rückkehr für sich zeichnen zu lassen.
Der Schlüssel drehte sich scheppernd im Schloss. Rachel presste sich gegen die Wand hinter ihrem Rücken und wäre am liebsten fortgelaufen, doch wohin? Kreischend öffnete sich die schwere Eisentür, und der Schein einer Laterne drang in Rachels steinernes Gefängnis. Eine Gestalt mit einer Laterne in der Hand schwebte herein. Dann sah sie das Lächeln und blinzelte fassungslos. Ihre Mutter! Im Nu sprang Rachel auf und stürzte, das Gesicht plötzlich trä- nenüberströmt, auf die Frau zu und schlang ihr die Arme um die Hüften. Sie spürte, wie tröstliche Hände sie liebevoll in die Arme schlossen. Die Umarmung war so unerwartet, dass sie vor Freude zu weinen anfing. »Ruhig, ganz ruhig. Jetzt ist alles in Ordnung, Rachel.« Und sie wusste, dass es stimmte. Jetzt, da ihre Mutter da war, war plötzlich alles in Ordnung. Die schrecklichen Soldaten, die Hexe, das alles zählte nicht mehr. Jetzt war alles wieder gut. »Danke, dass du gekommen bist«, sagte sie unter Tränen. »Ich hatte solche Angst.«
Ihre Mutter ging in die Hocke und zog sie fest an sich. »Wie ich sehe, hast du benutzt, was ich dir bei unserer letzten Begegnung gegeben habe.« Rachel nickte an der Schulter ihrer Mutter. »Es war meine Rettung. Die Kreide hat mir das Leben gerettet. Danke.« Sie spürte, wie eine tröstliche Hand ihren Rücken tätschelte, während sich ihre Mutter leise lachend über ihre hemmungslose Freude amüsierte.
Plötzlich löste sich Rachel aus der Umarmung. »Wir müssen fort, ehe diese schreckliche Hexe zurückkommt. Außerdem sind hier Soldaten - gemeine Kerle, die dich auf keinen Fall sehen dürfen. Sie könnten dir schreckliche Dinge antun.«
Ihre Mutter betrachtete sie, ein strahlendes Lächeln im Gesicht. »Im Augenblick sind wir in Sicherheit.«
»Aber wir müssen von hier fort.«
Immer noch lächelnd, nickte ihre Mutter. »Ja, das müssen wir. Aber vorher musst du etwas für mich tun.«
Rachel unterdrückte ihre Tränen. »Was immer du willst. Du hast mir das Leben gerettet. Das Stückchen Kreide hat mich vor den gespenstischen Kobolden gerettet. Sie hätten mich sonst glatt in Stücke gerissen.« Ihre Mutter legte ihr die Hand an die Wange. »Das hast du ganz alleine vollbracht, Rachel. Du hast von deinem Verstand Gebrauch gemacht und dir selbst das Leben gerettet. Ich habe dir nur ein wenig dabei geholfen, als ich merkte, dass du Hilfe brauchst.« »Aber es war doch genau die Hilfe, dich ich brauchte.« »Ich bin so froh, Rachel. Aber jetzt brauche ich deine Hilfe.« Rachel zuckte die Achseln. »Aber wie könnte ich dir helfen? Dafür bin ich doch viel zu klein.«
Ihre Mutter lächelte, auf eine Weise, die sie stutzig machte. »Du hast genau die richtige Größe.«
Rachel konnte sich nicht vorstellen, wofür sie die richtige Größe haben sollte. »Um was geht es denn?«
Ihre Mutter nahm die Laterne auf und erhob sich, dann bot sie Rachel ihre Hand. »Komm, ich werde es dir zeigen. Du musst eine sehr wichtige Nachricht überbringen, um jemanden zu retten.« Als sie in den steinernen Gang hinaustraten, konnte man im Lichtschein ihrer Laterne erkennen, dass er menschenleer war. Die Gardisten waren nirgendwo zu sehen.
Rachel gefiel der Gedanke, jemandem zu helfen. Sie wusste, was es hieß, Angst zu haben und auf Hilfe angewiesen zu sein. »Ich soll eine Nachricht überbringen?«
»Ganz recht. Ich weiß, du bist sehr tapfer, aber du darfst dich
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