Konfessor - 17
Euch doch, Nicci«, wiederholte Cara. Erst jetzt bemerkte Nicci, dass es ihr ungeheure Mühe bereitete, ihre Arme zu bewegen, und dass sie festgehalten wurde. Es war, als wären ihr Körper und Geist verwirrt, als versuchten beide, trotz des Wirrsals und der Unruhe zu funktionieren und sich an irgendeine Gewissheit zu klammern.
Trotz allem begann sie allmählich, ihre Umgebung zu erfassen. »Sechs«, stieß sie unter größten Mühen hervor. »Sechs.« Die Erinnerung an einen schwarzen Schatten schob sich bedrohlich in ihre Gedanken, so als hätte sie ihn selbst heraufbeschworen, und er wäre zurückgekehrt, um ihr den Rest zu geben.
Sie klammerte sich an die Bedeutung dieses Wortes, an den Namen und die dunkle Gestalt, die durch ihren Verstand geisterte, nahm nach Gutdünken Einzelheiten auf und versuchte sie darum herumzugruppieren. Sobald ein Erinnerungsfetzen passte - an den Flur, an Rikka, Zedd oder Cara, die weiter vorn an der Treppe wie erstarrt stehen geblieben waren -, ging sie weiter zum nächsten und versuchte, dem Puzzle ein weiteres Stück hinzuzufügen. Allein kraft ihrer Willensstärke stellte sich wieder so etwas wie Ordnung ein, bündelten sich ihre Gedanken zu einem Zusammenhang. Ihre Erinnerung begann sich zu einem Ganzen zu fügen. »Ihr seid in Sicherheit«, redete die immer noch ihre Arme festhaltende Cara beschwichtigend auf sie ein. »Seid jetzt still.«
Nicci war alles andere als in Sicherheit. Keiner von ihnen war in Sicherheit. Sie musste irgendetwas tun. »Sechs ist hier«, presste sie zwischen zusammengebissenen Zähnen hindurch, während sie Cara aus dem Weg zu schieben versuchte. »Ich muss sie aufhalten. Sie hat das Kästchen.« »Sie ist fort, Nicci. So beruhigt Euch doch.« Nicci blinzelte, immer noch bemüht, wieder einen klaren Blick zu bekommen, wieder zu Atem zu kommen. »Fort?« »Ja. Fürs Erste sind wir in Sicherheit.« »Fort?« Sie krallte eine Hand in das rote Leder und zog die Mord-Sith näher zu sich heran. »Fort? Sie ist wirklich fort? Wie lange schon?« »Seit gestern.«
Die Erinnerung an die dunkle Gestalt schien sich in der Ferne zu verlieren, ihrem Zugriff zu entziehen.
»Seit gestern«, hauchte sie und ließ sich auf das Kissen zurücksinken. »Bei den Gütigen Seelen.«
Zu guter Letzt richtete sich Cara auf. Nicci kümmerte es nicht mehr, ob sie aufstand oder nicht.
Alles war umsonst gewesen.
Ihr war, als würde sie vielleicht nie wieder den Wunsch verspüren, sich zu erheben.
Ihr Blick war ins Leere gerichtet. »Ist außerdem noch jemand verletzt worden?« »Nein. Nur Ihr.«
»Nur ich«, wiederholte sie tonlos. »Es wäre besser gewesen, sie hätte mich getötet.«
Cara runzelte die Stirn. »Was redet Ihr da?« »Ich bin sicher, sie hätte es gern getan, nur ist es ihr eben nicht gelungen. Ihr seid in Sicherheit.«
Cara hatte nicht verstanden, was sie meinte. »Alles umsonst«, murmelte Nicci bei sich. Alles war verloren, alle Arbeit umsonst gewesen. Alles, was sie erreicht und aufgedeckt hatte, hatte sich im hallenden Gelächter dieses dunklen Schattens verflüchtigt. All die Untersuchungen, das mühsame Zusammenfügen, die ungeheure Anstrengung endlich zu begreifen, wie dies alles ineinandergriff, die Mühen, solche Kräfte heraufzubeschwören, zu beherrschen und zu lenken - alles vergeblich.
Es war eine der schwierigsten Aufgaben, die sie je bewältigt hatte … und nun lag alles in Schutt und Asche.
Cara tauchte einen Lappen in ein Wasserbecken auf dem Nachttisch. Beim Auswringen war das Geräusch des zurücktröpfelnden Wassers, jedes einzelnen Tropfens, überdeutlich und durchdringend und klang ihr schmerzhaft in den Ohren.
Cara drückte ihr den feuchten Lappen auf die Stirn. Es war, als würde ein Dornengestrüpp auf ihr zartes Fleisch gepresst. »Es gibt noch anderen Ärger«, bemerkte Cara in ruhigem, vertraulichem Ton.
Nicci schlug die Augen auf. »Anderen Ärger?« Nickend tupfte sie Niccis Hals an den Seiten ab. »Ja. Mit der Burg.«
Nicci blickte am Fußende ihres Bettes vorbei zu den schweren dunkelblauen und goldenen Vorhängen vor der schmalen Fensteröffnung. Sie waren zugezogen, doch da nicht das geringste Licht hereindrang, vermutete sie, dass es wohl Nacht sein müsse. Dann sah sie wieder zu Cara und zog, obwohl das schmerzte, die Stirn in Falten. »Was wollt Ihr damit sagen, Ärger mit der Burg? Was denn für Ärger?«
Cara hatte den Mund bereits geöffnet, um zu antworten, als ein Geräusch hinter ihrem Rücken sie bewog,
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