Konigs-Schiessen
die?«
»Hier.« Ingeborg Verhoeven stand hinter Toppe in der Tür. »Mutter!« Sie hastete zum Schrank. »Was machst du denn da wieder?« und wollte der Frau das Brot aus der Hand nehmen. Die Alte ließ nicht los. Das Schmalz quatschte ihr durch die Finger. Sie sahen sich in die Augen.
»Hast du Hunger, Mutter?« Ingeborg ließ das Brot los. »Der Herr hat’s gegeben, der Herr hat’s genommen«, gackerte Hendrina.
Ingeborg Verhoeven wandte sich abrupt ab. »Wenn Sie mit mir sprechen wollen, Herr Kommissar, dann gehen wir wohl am besten in unsere Wohnung. Kommen Sie.« Sie zeigte auf die Tür, durch die sie hereingekommen war.
Toppe schob den Stuhl zurück. »Vielen Dank, Frau Verhoeven«, begann er, aber die Alte beachtete ihn nicht, sondern stopfte sich mit geschlossenen Augen das Schmalzbrot in den Mund.
Ingeborg ging vor Toppe her über die dunkle Tenne, am leeren Kuhstall vorbei, dann eine enge Stiege hinauf in eine düstere Wohnung.
»Nehmen Sie Platz.«
Er setzte sich aufs Sofa, dem einzigen Sitzmöbel in diesem winzigen Wohnraum. »Möchten Sie einen Kaffee?«
»Nein, danke. Ihre Schwiegermutter., ist sie..?«
»Verrückt, meinen Sie? Nein, sie hat seit vierzig Jahren Parkinson. Manchmal ist sie ein bißchen verwirrt, aber verrückt ist sie nicht.«
Sie setzte sich neben Toppe auf die Sofakante und faltete die Hände im Schoß. Bei Tageslicht sah sie älter aus. Sie war sehr klein, zierlich, hatte ein herzförmiges Gesicht und eine Stupsnase, aber ihr Mund war bitter.
»Sie sagten, dies sei Ihre Wohnung. Wohnen Ihre Schwiegereltern allein dort unten?«
Sie warf ihm einen schnellen, prüfenden Blick zu.
»Weil meine Schwiegermutter so verwahrlost ist, meinen Sie?«, aber sie zügelte sich sofort. »Ich habe den Kampf aufgegeben.«
Toppe erwiderte nichts. Er holte sein Notizbuch aus der Tasche.
» Mir ist zu gestern abend nichts Neues mehr eingefallen«, sagte sie unaufgefordert, aber Toppe ließ sich trotzdem so detailliert wie möglich den gestrigen Abend schildern.
»Ich weiß nicht, wer ein Interesse daran hatte, Onkel Hein zu töten. Es ist unvorstellbar. Immer noch.«
»Wo finde ich Ihren Schwiegervater?«
»Auf dem Feld.«
»Wann könnte ich mit ihm reden?«
»Er kann sich an gar nichts erinnern. Er war betrunken.«
»Ich möchte ihn trotzdem sprechen.«
Sie zuckte die Schultern. »Heute abend vielleicht, aber um halb neun geht er schlafen. Oder morgen. Punkt zwölf wird hier gegessen.«
»Wie alt ist Ihr Schwiegervater?«
»74.«
»Und er arbeitet immer noch auf dem Hof?«
»Ja«, gab sie knapp zurück und schlug die Beine übereinander.
»Was macht Ihr Mann beruflich?«
»Er ist Landwirt. Wieso?«
»Auch hier auf dem Hof?«
»Ja, sicher. Warum fragen Sie?« »Ich habe bisher noch nicht mit Ihrem Mann gesprochen. Er war doch auch gestern auf dem Krönungsball.«
»Ja, natürlich, aber er weiß auch nichts. Er war übrigens auch besoffen.«
»Könnte ich ihn sprechen?«
»Nein.« Sie wippte ungeduldig mit dem Fuß. »Er ist in die Stadt gefahren. Aber, wie gesagt, morgen mittag..«
Toppe erhob sich und klappte sein Notizbuch zu. Als sie aufstand, lächelte sie zum ersten Mal flüchtig.
»Was meinte Ihre Schwiegermutter mit: alle sind tot?«
»Ach, hat sie das gesagt?« Sie verzog ungeduldig den Mund. »Sie war wohl mal wieder in der Vergangenheit. Ihre Tochter ist als Kind gestorben.«
Ihr Ton duldete keine weiteren Nachfragen. »Kommen Sie, ich lasse Sie zur Vordertür raus, dann brauchen Sie nicht durch die Küche.«
Draußen zündete sich Toppe erst einmal eine Zigarette an und ging langsam zum Auto. Der Hof war groß, mit mehreren Stallungen und einer Doppelscheune, aber man sah den Gebäuden an, daß seit Jahren nichts mehr daran getan worden war. Der gelbe Putz am Vorderhaus bröckelte in großen Placken ab, die Buchsbaumhecke um den Garten wucherte breit und wild, an der Mauer neben dem Misthaufen rostete eine alte Egge vor sich hin. Der Feldweg hinter dem Haus endete an einem rotweißen Schlagbaum und einem querverlaufenden Graben. Auf der anderen Seite begann das Königreich der Niederlande. An den rückwärtigen Wiesen mußte man nur über den Graben springen und war in Holland.
Toppe öffnete die Autotür und beschloß, Bongartz, den Polizisten aus Keeken, anzurufen. Er wollte mehr über diese ganze Verhoevensippe wissen. Dann holte er Astrid im Dorf ab und ließ sich nach Hause bringen.
Trotz des undurchsichtigen Falles und seines Schlafmangels war
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