Konigs-Schiessen
gewesen.
Astrid nahm eines der beiden Fotos von dem Tischchen neben sich und betrachtete es.
»Ist das Ihr Hochzeitsfoto?«
»Ja«, nickte Mia und schluckte.
»Ein wunderschönes Kleid«, sagte Astrid versonnen.
Diesmal huschte ein leises warmes Lächeln über Mias Gesicht.
»Ja. Da waren wir auch stolz drauf. Was meinen Sie, was wir für den Stoff alles eintauschen mußten!«
»Und das hier?« wollte Astrid wissen.
»Das ist Christophers Kommunion.«
»Der neben Ihnen ist Ihr Mann?«
»Nein«, sagte sie. »Das ist sein Bruder Wilhelm, der Patenonkel von Christopher. Mein Mann steht rechts daneben.« Sie kämpfte wieder mit ihrem Schluchzen.
Astrid wunderte sich über Toppes Ungeduld, als er jetzt eingriff: Hatte es Streit und Ärger gegeben, Mißverständnisse und Auseinandersetzungen? Aber er stieß bei Mutter und Sohn nur auf Unverständnis.
»Und auf dem Krönungsball? Ist da vielleicht etwas vorgefallen? Die Leute waren doch alle angetrunken. Vielleicht ist einem nach einer Meinungsverschiedenheit einfach die Sicherung durchgebrannt.«
»Nein«, erwiderte Klaus, »wenn’s Ärger gegeben hätte, dann hätte ich das mitgekriegt.«
»Ich auch«, bestätigte seine Mutter, »ich hab’ doch den ganzen Abend am Tombolatisch gestanden. Und außerdem«, und jetzt war ihre Stimme ganz fest, »außerdem hat mein Hein sich in seinem ganzen Leben noch nicht gestritten. Der ging lieber immer ganz schnell weg. Auch wir beide, Streit haben wir nicht gekannt.« Sie fing wieder an zu weinen, und Toppe sah ein, daß es keinen Sinn mehr hatte.
Er nickte Astrid zu und bedeutete Klaus mit einer Handbewegung, bei seiner Mutter zu bleiben.
Er ging mit gesenktem Kopf und schnellen Schrittes, so daß Astrid Mühe hatte mitzukommen.
»Die sind alle so unheimlich nett«, sagte sie halb hinter ihm.
»Ja, ja«, brummte Toppe.
»Sind Sie sauer?«
»Was? Nein.« Er blieb plötzlich stehen und sah sie an. Dann atmete er tief durch und lächelte. »Nein, ich bin nicht sauer. Kommen Sie, lassen Sie uns noch ein Stück gehen, bevor wir uns wieder an die Arbeit machen.«
Diesmal gingen sie hinten am Friedhof vorbei durch eine enge, kurze Straße. Am Ende des Dorfes, dort, wo nur ein schmaler Feldweg hinausführte, stand ein großes, gelbes Herrenhaus in einem verwilderten Obstgarten. Die Fensterläden waren alle geschlossen; es sah unbewohnt aus.
Sie bogen links in den Feldweg ein und folgten ihm ein Stück.
Hinter einer Hecke aus Weißdorn, Heckenrosen, Schlehen und wildem Hopfen konnte man den Fußballplatz sehen, das Vereinshaus mit dem Schild ,Nordwacht Keeken’. In der Ferne lagen verstreut Gehöfte, die Wege dazwischen waren gesäumt von Schwarzerlen, Pappeln und Kopfweiden. Dort drüben, keine vierhundert Meter entfernt, mußte die Grenze sein.
»Wenn ich der Täter wäre«, sagte Astrid plötzlich und traf genau Toppes Gedanken, »dann hätte ich diesen Weg genommen, um abzuhauen.«
»Tja. Wenn der Täter von außerhalb gekommen ist. Wenn er aus dem Dorf kommt, ist er bloß ganz unauffällig nach Hause gegangen.«
Am Ende der Hecke kehrten sie um und gingen ins Dorf zurück.
Astrid wollte den Mann befragen, der in der letzten Nacht ein fremdes Auto am Friedhof gesehen hatte, und Toppe hatte auf seiner Liste zwei Leute, die auf dem Krönungsball verdächtige, ihnen unbekannte Personen bemerkt haben wollten.
»Aber eigentlich«, meinte er, als sie wieder beim Auto waren, »eigentlich möchte ich zuerst noch einmal mit den beiden Tatzeugen sprechen.«
Sie einigten sich schnell. Astrid würde hier im Dorf die drei Leute befragen, falls sie zu Hause waren, und Toppe nahm das Auto und fuhr auf die Grenze zu zum Verhoevenhof.
10
Tot. Die Jauche tropfte aus ihrem offenen Mund, kleisterte die roten Locken an den Kopf, verklebte ihre Augen.
»Tot«, stieß Papa tonlos aus und hielt sie ihr entgegen. Wie ein Opferlamm trug er sie auf seinen schwachen aber gestreckten Armen zu ihr in die Küche. Tot.
Hans-Joachim kippelte mit seinem Hochstuhl, patschte auf das Tischchen. »Totot«, gickelte er, »totot.«
Mit einer Armbewegung fegte sie den Tisch frei; die Rührschüssel zersprang mit einem dumpfen Knall in zwei gleichgroße Stücke, die Büchse schlug scheppernd auf, und das Mehl ergoß sich in die Jauchepfütze und saugte sie weg.
Langsam, behutsam nahm sie Papa das Kind aus den Armen und bettete es auf den Tisch. Peter verdiente die Prügel; stand da und starrte; trieb sich auf dem Heuboden herum, während seine
Weitere Kostenlose Bücher