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Konrad Sejer 03 - Wer hat Angst vorm boesen Wolf

Konrad Sejer 03 - Wer hat Angst vorm boesen Wolf

Titel: Konrad Sejer 03 - Wer hat Angst vorm boesen Wolf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karin Fossum
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komisch. Und das sah Karsten genau.
    Der Vorteil, dachte Kannick, an dem Leben in Guttebakken ist, daß es nicht schlimmer kommen kann. Jedenfalls nicht sehr viel schlimmer. Wenn er durchbrannte und gegen die Regeln verstieß, wurde er einfach wieder nach Hause geschickt. Niemand konnte ihn in irgendein Höllenloch stecken, denn er war noch nicht strafmündig, und deshalb waren die Gefängnisse Ullersmo und Ila noch weit entfernt. Sie gehörten in eine mögliche Zukunft, die ihn nicht weiter interessierte. Aber die Erwachsenen redeten die ganze Zeit von dieser Zukunft. Was soll nur aus dir werden, Kannick? Die Erwachsenen redeten nicht über das, was hier und jetzt war. Über dieses schreckliche Haus mit seinen vielen Regeln. Darüber, daß er sein Zimmer mit Philip teilen und sich Nacht für Nacht dessen Geschnaufe anhören mußte. Daß er im Fernsehzimmer putzen und staubsaugen mußte. Und daß er Margunns Nervereien ausgesetzt war.
    Plötzlich rannte er zur Tür und riß sie auf. In der Ferne hörte er Margunns Stimme und fließendes Wasser. Das konnte bedeuten, daß Margunn wusch und daß Simon wie so oft plappernd neben ihr stand. Dann hielt sie sich in der Waschküche auf, neben den Duschen im ersten Stock. Das Büro jedoch, wo sie seinen Bogen eingeschlossen hatte, befand sich am anderen Ende des Hauses. Kannick war fett, aber er war schnell. Er schlich sich aus dem Zimmer und nach unten. Er nahm die Außentreppe, die eigentlich eine Feuerleiter war und immer zugänglich sein mußte, das forderten die Regeln. Es hatte schon zweimal gebrannt, weil Jaffa für die Uniformen der Feuerwehrleute schwärmte. Die Sprossen knackten, er verteilte sein gewaltiges Gewicht möglichst behutsam. Schlich sich zu Margunns Bürotür und fürchtete einen Moment lang, sie könne abgeschlossen sein. Aber es gehörte zu Margunns Philosophie, daß kein Kind je vor verschlossener Tür stehen sollte. Er lief hinein und starrte den Schrank an. Öffnete die Schreibtischschublade mit dem Zeigefinger und fand die Schlüsseldose. Versuchte, ganz schnell und trotzdem leise zu sein. Er öffnete das kleine Hängeschloß. Da stand der Koffer mit seinem Bogen. Mit seinem Centra, tiefrot mit schwarzen Gliedern, sein ganzer Stolz. Mit hämmerndem Herzen nahm er den Koffer heraus, schloß den Schrank ab, legte den Schlüssel wieder in die Dose und lief aus dem Zimmer. Vom Flur aus ging er in den Keller hinunter, dann verließ er das Haus durch die Hintertür. Vom Hof her konnte niemand ihn sehen. Aus der Ferne hörte er Ingas Lachen.
    Er kannte sich in diesem großen Wald gut aus und erreichte bald einen Weg, den er schon Hunderte von Malen gegangen war. Beim Geräusch seiner Schritte, die jetzt schwerer waren, weil niemand ihn hier hören konnte, verstummten die Vögel, sie schienen zu ahnen, daß er eine entsetzliche Waffe in seinem Koffer hatte. Kannick blieb auf dem Weg, der westlich an Halldis’ Hof vorbeiführte. Er wollte nicht zu nahe an diesen Hof herankommen. Der Gedanke an die Tote war ihm zu unbehaglich, und er wußte, der Anblick des Hauses mit Tür und Treppe würde das schreckliche Erlebnis wieder aufwühlen. Außerdem hatte er die Pfeile nicht hier verloren. Er wollte die Pfeile suchen, deshalb war er hier unterwegs, und wenn er sie gefunden hatte, würde er sein Glück bei ein oder zwei Krähen versuchen und dann wieder nach Hause gehen. Vielleicht konnte er den Bogen sogar in den Schrank zurücklegen, ohne daß Margunn überhaupt etwas gemerkt hatte. Es wäre nicht das erste Mal. Kannick amüsierte sich königlich über Menschen wie Margunn, die von allen immer nur das Beste annahmen. Für Margunn war das wie eine Religion, sie glaubte, moralisch dazu verpflichtet zu sein. Wie damals, als er einen Tausender aus der Kasse mit einem Fünfhunderter vertauscht hatte – Margunn hatte einfach nicht glauben wollen, daß eins von den Kindern für ein solches Manöver genug Geld haben könne. Deshalb hatte sie ihrem eigenen schlechten Gedächtnis die Schuld gegeben und erklärt: »Diese neuen Geldscheine sehen ja ohnehin alle gleich aus.« Er lief weiter. Er war zwar fett, aber er war einigermaßen in Form. Trotzdem atmete er schneller, und er schwitzte schon ziemlich stark. Irgendwann merkte er, daß er langsam in der Phantasie versank, die er so sehr liebte. Er begab sich in den geheimen Raum, von dem niemand etwas wußte, wo er Zeit und Ort vergaß und wo die Bäume um ihn her ihre Form veränderten und zu einem exotischen Wald

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