Konrad Sejer 03 - Wer hat Angst vorm boesen Wolf
Beispiel, wenn ihre Hand seiner zu nahe käme. Ihre Hand ruhte auf dem Tisch, weiß und schmal, dreißig Zentimeter von seiner entfernt.
»Es war doch keine Morddrohung.« Sie lächelte sanft und streichelte seine Hand.
»Morddrohung?« fragte er verstört.
»Ich habe nur gesagt, daß ich Sie wiedersehen wollte. Das war alles.«
»Wir sind dankbar für jegliche Hilfe«, sagte er schwerfällig.
Offenbar war ihr etwas eingefallen, das wichtig war, das für den Fall Bedeutung hatte.
»Ich werde Ihnen ein wenig helfen«, sagte sie und schaute ihm tief in die Augen. »Beantworten Sie ganz einfach eine leichte Frage.«
Er nickte zuvorkommend, korrekt und hielt sich an seinem Glas fest.
»Freust du dich, mich zu sehen?«
Konrad Sejer, Hauptkommissar, dreiundachtzig Kilo schwer, einhundertsechsundneunzig Zentimeter groß, sprang auf. Er hätte das nicht für möglich gehalten. Er ging zum Fenster und blickte hinunter auf Fluß und Boote.
Meine Verteidigungswälle, dachte er, die stürzen ein. Der Weg in meine Seele steht offen. Ich kann mich nirgendwo verstecken.
»Ich habe Zeit«, sagte sie leise. »Ich warte auf Antwort.«
Löse ich etwas aus, wenn ich antworte? Reiß dich zusammen, Mann. Du brauchst hier keinen Mord zu gestehen. Du brauchst einfach nur ja zu sagen.
Langsam drehte er sich um und erwiderte ihren Blick.
DIE ERSTEN HINWEISE GINGEN bei der Wache ein. Errki war an vier Orten gesehen worden, das dadurch abgesteckte Gebiet war so groß, daß er es unmöglich in so kurzer Zeit hatte bereisen können. Eine junge Frau mit Kinderwagen war ihm auf der Landesstraße 285 begegnet, sie konnte sich an sein T-Shirt erinnern. Eine Frau an einer Tankstelle bei Oslo hatte ihn bedient, er war zu Fuß gekommen und zu Fuß weitergezogen. Ein LKW-Fahrer hatte ihn bei Ørje über die schwedische Grenze gebracht. Unglücklicherweise kam nur diese letzte Beobachtung bei Kannick Snellingen an. Pålte erzählte ihm davon. Der Mann ist in Schweden, das haben sie gerade im Radio gesagt. Denk nur an den armen Fahrer, Kannick. Der hatte doch keine Ahnung, wer da bei ihm im Auto saß!
Angst? Er doch nicht. Kannick hatte oben im Wald zwei Pfeile verloren. Zwei Green-Eagle-Karbonpfeile mit echten Federn dran, zu hundertzwanzig Kronen das Stück. Die Vorstellung, mit der Suche warten zu müssen, war unerträglich. Im Wald gab es so viele Tiere, die konnten die Pfeile in den Boden treten, vielleicht gab es Regen, und sie versanken langsam, aber sicher im Boden. Er wußte noch genau, an welcher Stelle er die beiden Pfeile abgeschossen hatte, und in Gedanken folgte er ihnen durch das Dickicht, bis zu der Stelle, wo sie so ungefähr gelandet sein mußten. Er hatte sie sofort suchen wollen, aber die Zeit verging, und die Heimleitung erlaubte ihm diesen Ausflug einfach nicht. Deshalb hatte er allen den Rücken gekehrt. Er saß in seinem Zimmer und starrte auf den Hof. Rülpste ausführlich und herzlich und schmeckte Porree und Steckrüben, mittags hatte es Eintopf gegeben. An diesem Tag würden sie auch nicht baden gehen, und Margunn war immer so mit ihren Papieren beschäftigt. Sein Bogen lag in ihrem Büro, in dem großen Metallschrank, in dem sie ihre wenigen Wertgegenstände aufbewahrte. Dort lagen Karstens Fotoapparat und das Jagdmesser, das Philip nur benutzen durfte, wenn Erwachsene dabei waren. Der Schrank war abgeschlossen, aber der Schlüssel lag in einer kleinen Plastikdose in Margunns Schreibtisch, zusammen mit anderen wichtigen Schlüsseln. Das wußten alle.
Sehnsüchtig starrte er zum Wald hinüber und entdeckte mehrere schwarze Krähen, die dort oben umhersegelten. Er sah auch die eine oder andere Möwe, die Müllhalde war nur einen Kilometer entfernt, dort hatten die Möwen ein gutes Leben und wurden groß und fett wie die Albatrosse. Er sah auch den Rücken von Karsten. Der stand oben beim Verbrennungsofen, beugte sich über sein Fahrrad und mühte sich damit ab, einen Flaschenhalter an der Stange zu befestigen. Die Klemme war zu weit, also quetschte er ein abgeschnittenes Stück Gummischlauch hinein, um sie zum Halten zu bringen. Immer wieder wischte er sich den Schweiß von der Stirn, sein Gesicht war schon ganz verschmiert von Fahrradöl und Dreck. Inga stand neben ihm und sah zu. Sie war die größte von ihnen, sogar größer als Richard, war dünn wie eine Barbiepuppe und schön wie eine Madonna. Karsten versuchte, sich zu konzentrieren, aber das fiel ihm nicht leicht. Inga fand das alles schrecklich
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