Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Kontaktversuche

Kontaktversuche

Titel: Kontaktversuche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Erik Simon (Hrsg)
Vom Netzwerk:
der Verkäufer die Stücke auf die Waage, tat noch ein winziges Stückchen dazu und sagte dann, während er genauso geschickt und wie spielend den Schinken einpackte: »Eins fünfzig!«
Andrej faßte in die Tasche und ließ die Hand entsetzt darin stecken.
»Der nächste, bitte!« sagte der Verkäufer ungeduldig und legte das Paket mit dem Schinken zur Seite.
In Andrejs Tasche war kein Geld und konnte keins sein. Er sah den Verkäufer verzweifelt an und sagte: »Ich habe nichts… Ich habe mein Geld vergessen!« Der Geruch des Schinkens machte ihn toll.
»Zwei vierzig!« sagte der Verkäufer zum nächsten Kunden.
»Ich habe nichts!« sagte Andrej noch einmal. »Ich habe mein Geld vergessen.«
»Tut mir leid, Bürger.« Der Verkäufer zuckte die Schultern. »Sie müssen vorher in Ihren Taschen nachsehn. Der nächste, bitte!«
Andrej schluckte, am ganzen Körper bebend – das Schinkenpaket lag nur einen halben Meter vor ihm, aber eine andere Glasscheibe trennte ihn davon. Ob die auch so fest war?
»Na, nehmen Sie’s nicht so tragisch!« sagte der Verkäufer. »Holen Sie sich eben woanders welchen. Der Schinken ist überall der gleiche.«
Ob auch diese Scheibe so fest war? Er schluckte wieder. Er mußte nachdenken, bloß nicht hier, wo ihn der Geruch des Schinkens um den Verstand brachte. Er schaute auf das Messer in den fettigen Händen des Verkäufers und ging langsam zur Tür.
Draußen blieb er vor dem Schaufenster stehen, von dem vorherigen Verlangen gepackt, die Scheibe mit der Faust einzuschlagen, aber etwas hielt ihn zurück. Ach ja, er mußte überlegen. Das Kauen der Kiefer, das Schlucken des Kehlkopfs hinderte ihn daran. Überlegen? Er besann sich – er war ja nicht mehr derselbe! Das Glas würde seine Hand zerschneiden, aus dem weichen Fleisch würde Blut fließen wie heute morgen von seiner Wange. Aber bloß das? Es gab noch etwas anderes, das war leichter und vernünftiger… Aber was? Wo befand er sich, wie sah er aus? – Wieder meinte er, tot umfallen zu müssen, wenn er sich von dem Schaufenster entfernte. Aber er fiel nicht tot um. Auch entfernte er sich nicht wirklich von dem Schaufenster, es setzte sich in ihm mit all seinen Würsten fest. Er ging über das Trottoir, sah aber weiterhin das Schaufenster. Es zog ihn zurück, er stieß die Leute an, die ihm entgegenkamen, und war drauf und dran umzukehren, noch bevor ihm dieses andere eingefallen war. Er wollte sich daran erinnern, strengte seinen Kopf an, sah aber nur das Schaufenster und roch den Schinken.
Da fing seine Nase einen anderen Geruch auf. Er kannte ihn nicht – sein Magen erkannte ihn. Der Geruch war ganz leicht und schien weither zu kommen; doch plötzlich fiel Andrej alles ein. Natürlich, es gab ja Lokale. Und dort wurde zuerst gegessen und dann ans Geld gedacht. Er war überrascht, wie leicht und einfach es war. Während er dem neuen Geruch nachging, und erfreut merkte, daß er immer näher kam und stärker wurde, fragte er sich, ob ein Mensch, wenn er hungrig ist, immer so einen langen Weg zum Vernünftigsten geht. In Wahrheit war das Restaurant weiter, als es ihm vorgekommen war.
Das Tischtuch, obwohl frisch gewaschen, roch nach allem, was früher an dem Tisch gegessen worden war. Andrej rutschte ungeduldig hin und her und hob die Hand. Ein Kellner mit einem Schmerbäuchlein und einem Gesicht, das von appetitlichen Gerüchen vollgesogen war, brachte wichtig die Speisekarte und legte sie auf den Tisch. Andrej unternahm einen Versuch, sie zu lesen, aber die Buchstaben tanzten vor seinen Augen.
»Eine Suppe«, sagte er, instinktiv spürend, daß er sich ruhiger und geduldiger verhalten mußte. »Und Brot selbstverständlich. Danach…«
»Wir haben Rinderbraten! Er steht nicht auf der Karte…«
Der Braten war von gestern, aber Andrej konnte keine Gedanken mehr lesen. Er dachte nur an den Schinken, und auf seinem Gesicht malte sich Bedauern.
»Braten, nicht wahr?« sagte der Kellner schnell.
»Ja, Braten…«
Die Suppe war heiß, gleich beim ersten Löffel verbrannte er sich den Mund, und danach merkte Andrej fast nicht, wie das Essen schmeckte, aber das hatte nichts zu sagen. Wichtig war, daß er aß, richtig – nicht in Gedanken – kaute und schluckte. Er schluckte, Säfte liefen durch seinen Schlund in den Magen, und er nahm sie dankbar auf.
Sein Gesicht färbte sich rosa, allmählich hörten seine Hände auf zu zittern, seine Augen interessierten sich auf einmal für die Umgebung.
Die Wände des Lokals waren bis zur halben

Weitere Kostenlose Bücher