Kontaktversuche
würden sich dort die Hände drücken, obwohl sie nichts daran hinderte, das auf der Straße zu tun. Andere zog es sicherlich zum Tanzet. Er spürte Elenas Körper, die Wärme, die er zusammen mit dem Duft von Kölnischwasser ausströmte, und ihren Wunsch, daß sie sich küßten… Waren wirklich erst ein paar Tage vergangen? Einen Augenblick lang war Andrej verwirrt. Damals hatte er die Zeit nicht nach Tagen gemessen, und in seiner jetzigen Ohnmacht erschien ihm alles unendlich fern.
Auf einmal erblickte Andrej ein Mädchen in einem kurzen Kleid und mit bekannten Haaren. Elena? Er stieß die Leute auseinander, rannte atemlos zu dem Mädchen, merkte aber bald, daß er sich verkannt hatte. Sie sah Elena nicht einmal ähnlich.
Enttäuscht blieb Andrej vor einem Schaufenster mit Kinderspielzeug stehen. Die Leute schlenderten weiter auf und ab, hatten sich jedoch gleichsam verändert. So viele gleichgültige fremde Gesichter! Immerzu gingen sie an ihm vorbei und verloren sich in der Menge. Ihre Augen waren undurchdringlich – er sah nicht einen Gedanken, vermochte nicht einen Wunsch zu lesen. Was war da geschehen? Andrej kniff die Augen zu – die Straße neigte sich und kehrte dann wieder auf ihren Platz zurück, zusammen mit dem brennenden Gefühl von Einsamkeit. Unmöglich! dachte Andrej. Ich muß sie finden… Ich muß sie trotz allem finden, sie wie verrückt suchen, darf mir kein einziges Gesicht entgehen lassen, muß mich nach allen Seiten umsehen. Was bleibt mir zu tun, wenn ich sie nicht finde? Da kann ich mich aufs Pflaster legen und auf der Stelle sterben. Eine andere Möglichkeit gibt es nicht!
Nachdem der Nachmittag seinen Glanz verloren hatte, verlor er nun auch seine Farben. Das Blau und Rot am Himmel verdichtete sich, und über die Straßen legte sich ein drohendes violettes Licht. Danach wurde das Rot vom Blau irgendwo hinter die Dächer gedrängt, und da wurde das Grün der Bäume rasch dunkel.
Die Gesichter der Frauen veränderten sich zusammen mit den Farben des erlöschenden Tages, die Dämmerung machte sie anziehend, daran hatte Andrej früher nie gedacht. Vielleicht, weil ihm auch die Dämmerung nichts verborgen hatte?
An einer Ecke ließ ein Mann seine Frau stehen und kam auf ihn zu.
»Hören Sie auf, meine Frau anzustarren!« stieß er durch die Zähne hervor. In seiner Stimme schwang das Verlangen mit zuzuschlagen.
»Ich suche eine andere Frau«, sagte Andrej.
»Suchen Sie sie, ohne meine anzustarren!« knurrte der Kerl drohend und kehrte zu seiner Frau zurück.
Andrej wurde vorsichtiger. Er begriff nicht, was es zu bedeuten hatte, ob er eine Frau ansah oder nicht, aber wahrscheinlich gab es da etwas. Dann gingen die Straßenlampen an, und er konnte die Frauen mustern, bevor sie nahe heran waren.
Als er sie sah, wollte es Andrej nicht gleich glauben. Sie kam nicht auf ihn zu, sondern entfernte sich. Sie ging auf der anderen Straßenseite – ihr Rücken, ihre Beine, ihre Bewegungen. Vielleicht ging sie schon lange so und starrte genau wie er in vergeblicher Hoffnung den fremden Menschen ins Gesicht. Er überquerte den Fahrdamm und lief ihr nach. Aber jetzt hatte er schon Erfahrung. Als er sie fast eingeholt hatte, verlangsamte er seine Schritte. Das waren ihre rührend zarten Schultern, und sie mußten sich an seine Hände erinnern. Doch der untrüglichste Beweis waren diese fast unmerklichen Bewegungen ihres Körpers. Die hoben Elena von der ganzen übrigen Welt ab. Dann nahm er ihr Parfüm wahr, das sich immer mit ihrem Verlangen verband, daß sie sich küßten. Er konnte sich nicht länger beherrschen. Er merkte gar nicht, wie er ihr die eine Hand auf die Schulter legte, sie mit einer heftigen Bewegung zu sich herumdrehte und den anderen Arm ausstreckte, um sie um die Taille zu fassen. Im nächsten Augenblick erhielt er einen Schlag auf die Wange und wich zurück.
»Sie unverschämter Kerl!« schrie die Frau. »Was erlauben Sie sich!«
Das Gesicht, das ihn wütend ansah, hatte nichts mit Elena gemein. Es war merklich älter und irgendwie spitz – eine spitze Nase und ein spitzes Kinn.
»Ich…«, stammelte Andrej und verstummte.
Seine Lippen zuckten. Er erinnerte sich doch an alle Einzelheiten und hatte sie so genau gesehen! Dann rieb er sich unwillkürlich die geschlagene Wange. Weshalb hatte sie ihn geschlagen? Er hatte sie doch nur berührt. Seine Berührungen riefen in Elena eine wahre Lawine angenehmer Empfindungen hervor. Jede Berührung war der Anfang von Empfindungen, an die
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