Kontaktversuche
liefen ungeduldig den Autos über den Weg. So irrte er ein paar Stunden herum und kam am Ende immer auf einer Straße mit Verkehrsampel und Zebrastreifen heraus. Das Netz des Zentrums hielt ihn fest, und er lief vergebens dahin und dorthin. Wo er auch hinging, am Ende mußte er auf demselben Weg ins Zentrum zurück. Die Straßen, die seitwärts verliefen, führten ihn von Elena weg. Er hatte das Mädchen auf belebten Trottoiren unter breitkronigen Bäumen im Gedächtnis, erinnerte sich an Schaufenster und nicht abreißende Autoströme auf dem Fahrdamm.
Schließlich begann er die Geduld zu verlieren. Die Sonne, bereits eine heiße Mittagssonne, brannte ihm bald auf den Nacken, bald ins Gesicht, sein Hemdkragen wurde unangenehm feucht. Die Knie wurden ihm abermals weich, die strapazierten Fußsohlen brannten.
Er lehnte sich zum Ausruhen an einen Baum. Die Straße lärmte weiter, sie glänzte vom Nickel und Glas der Automobile. Wie sollte er in diesem Chaos Elena finden? Wenn sie ihn nicht gehindert hätten, hätte er die Umwandlung vor ihrem Haus vollzogen. Aber er hatte keine Wahl, sie waren ihm auf den Fersen, nur die unverzügliche Umwandlung machte die Verfolgung sinnlos. So konnten sie ihn nicht brauchen.
Konnte er selbst sich denn so brauchen?
Er hätte nie gedacht, daß das Leben so schwierig und voller Empfindungen war, die keine Freude brachten. Früher hätte er alles gewußt und gekonnt, jetzt stand er an den rauhen Baumstamm gelehnt, und vor seinen Augen drehte sich alles vor Müdigkeit. Zwei Monate war er Tag für Tag in diese Stadt heruntergekommen, aber heute erkannte er sie nicht wieder. Als wären Straßen und Plätze erst heute morgen geschaffen worden, um ihm den Weg zu Elena zu versperren… Und seine Ohnmacht? Wenn er an seine Ohnmacht dachte, fühlte er sich unglücklich und einsam, wie bei Tagesanbruch, als er auf dem Kilometerstein saß und vor Kälte, zitterte.
Später dann, als er ziellos über das Trottoir lief, zog etwas seinen Blick auf sich, und ehe er sich noch voll bewußt wurde, was es war, ging er darauf zu. Es war das Schaufenster eines Geschäfts für Wurstwaren. Vom Anblick der glänzenden goldbraunen und roten, matt aschgrauen oder geräucherten gelben Fleischwaren hinter dem Glas lief ihm das Wasser im Mund zusammen, und sein Magen verkrampfte sich schmerzhaft. Dieses Gefühl beunruhigte ihn schon lange und trübte seine Gedanken, aber jetzt brach es mit solcher Macht hervor, daß er die Augen nicht von dem Schaufenster losreißen konnte.
Er brauchte ja nur durch die Scheibe zu langen! – Glas war doch für ihn nie ein Hindernis gewesen. Er streckte den Arm aus, aber die glatte, kühle Oberfläche hielt seine Hand auf. Unangenehm überrascht und ungeduldig drückte er ein wenig stärker, aber das Glas blieb hart und undurchdringlich. Da sah er sich um, ob es nicht eine Möglichkeit gab, von der Seite an die Würste heranzukommen, und jetzt erst kam ihm die bittere Erkenntnis.
Den, der gestern fähig gewesen war, den Regen anzuhalten, weil er eine Begegnung mit Elena verhinderte, gab es heute schon nicht mehr. Heute war er nicht imstande, durch eine lächerliche Glasscheibe zu langen. Doch gestern hatte er keine Wurst gebraucht, jetzt hingegen kaute und schluckte er in Gedanken, er arbeitete unaufhörlich wie ein im Leerlauf vergessener Motor und hatte das Gefühl, er müßte auf der Stelle tot umfallen, wenn er von dem Schaufenster wegging. Für einen Augenblick vergaß er erneut, wer er war, und langte wieder zu der Scheibe. Ob sie auch so undurchdringlich blieb, wenn er mit der Faust dagegenschlug? Er trat ein Stückchen zurück, holte aber nicht aus. Es ging nicht darum, ob sich das Glas durchschlagen ließ oder nicht – er bemerkte einfach in letzter Sekunde, daß dies niemand tat. Ja, die Leute blieben gar nicht erst vor dem Schaufenster sterben, sie gingen geradenwegs in den Wurstladen, sagten, was sie wollten, oder zeigten darauf, dann bezahlten sie und nahmen das in Papier gewickelte Paket. Das war viel leichter, als das Glas einzuschlagen.
Andrej trat in den Laden und sagte dasselbe, was der Kunde vor ihm sagte: »Ein halbes Kilo Schinken.«
Flink und geschickt, als spielte er mit dem Messer (gestern hatte er selbst so mit dem Regen gespielt), schnitt der Verkäufer ein paar gleich große Stücke ab. Wie er ihm so zusah, merkte Andrej, daß ihm das Wasser erneut im Mund zusammenlief. Der Schinken roch unerträglich appetitlich. Indem er mit dem Messer nachhalf, legte
Weitere Kostenlose Bücher