Kontaktversuche
eiliger als ich! – Ich sah, daß er aufstehen
wollte, es fiel ihm schwer, stillzusitzen, er benahm sich aber
wieder so würdevoll wie beim Hereinkommen.
Dieser Mensch war mir völlig unklar. Ich stellte den Beginn
unseres Gesprächs seinem späteren Ergebnis gegenüber – das
eine widersprach dem anderen nicht nur, sondern schloß es
einfach aus. Was saß mir da für ein Mensch gegenüber? Sein Blick wurde weich, und ich war zum zweitenmal heute bereit, eine Wette einzugehen – es bezog sich auf mich. Für gewöhnlich beobachtete ich in solchen Fällen verborgene Angst, Schuldbewußtsein oder eine übertriebene Selbstsicherheit. Das gab es hier nicht und hatte es die ganze Zeit über nicht gegeben. Was saß mir da für ein Mensch gegenüber? Blieb noch eine Frage, und ich zögerte, sie zu stellen. Andrej wandte das Gesicht ab und schaute zur Wand. Diese Bewegung überraschte mich, er wich zum erstenmal meinem Blick aus. Über seine Wange lief ein rosa Kratzer, und ich wollte ihn fragen, wovon der sei, aber er kam mir zuvor. Gleich beim ersten Wort, das er aussprach, merkte ich, daß er die Frage lange überlegt und
seine Unschlüssigkeit noch nicht überwunden hatte. »Als ich hier reinkam«, sagte er, »habe ich Sie mit einem
Mann gesehen. Kennen Sie ihn?«
Es kommt in Gang! dachte ich. Aber wo wird es hinführen? »Ja«, gab ich zur Antwort, »wir arbeiten zusammen.« »Schon lange?«
»So an die zehn Jahre… sogar zwölf.«
»Und hat er immer so ausgesehen? Ich meine, hat er sein Äußeres nicht verändert?«
»Nun, dieses Äußere ändert sich von selbst… Vor zwölf Jahren war er jünger. Und hatte noch keine Beinprothese…« Andrej schloß die Augen, und auf seinem beruhigten Ge sicht
erschien ein Lächeln. Geschlossene Augen und ein Lächeln –
das drückte eine unvergleichlich größere Erleichterung aus als
ein Aufatmen.
»Woher kennen Sie ihn?« fragte ich plötzlich nach einer kurzen Pause.
»Ich kenne ihn nicht… Ich habe ihn mit einem anderen verwechselt, der ihm sehr ähnlich sieht. Aber Sie haben damit
überhaupt nichts zu tun, glauben Sie mir.«
Ich konnte so schnell nicht entscheiden, ob ich etwas damit zu
tun hatte oder nicht, stellte ihm aber keine weiteren Fragen
mehr, ich hatte schon Erfahrung mit ihm.
Nach einer Weile wurde das Mädchen hereingebracht. Endlich sollte Elena kommen – Andrej hätte nie erwartet, sie
auf eine so ungewöhnliche Weise zu finden. Mitunter wollte er
das dem Mann erklären, in dessen Zimmer er saß, besann sich
aber beizeiten. Er war ein guter, kluger Mensch, aber seine
Neigung, sinnlose Fragen zu stellen, störte.
Erneut schloß Andrej die Augen und sah Elena… klein, lä
chelnd, immer auf dem Weg irgendwohin, mit zwei kleinen
Furchen am Mund und einem sanften, wartenden Gesicht.
Dann öffnete jemand die Tür, Andrej blickte auf und sprang
vom Stuhl. Vor ihm stand eine Frau – sie war Elena und schien
ihr doch nicht zu gleichen. Vor allem war sie hübsch, und jetzt
verstand er erst, was das hieß. Früher war Elenas Gesicht und
Körper nur eine Kombination von Linien gewesen, in diesem
Augenblick hatte sie sich in etwas verwandelt, das ihn tief
berührte und gleichsam ein Teil von ihm war.
Elena stand an der Tür und lächelte – ein bißchen besorgt, ein
bißchen verwirrt, aber erfreut. Sie trug wie immer einen kurzen
Rock, ihre Schultern waren bloß, das Haar glänzte. Doch diesmal sah Andrej mehr als früher – er sah wieder ihre zarte Haut,
das bläuliche Äderchen an der Schläfe, ihre schlanken Beine,
aber all das lebte und pulste, drang in ihn ein, beunruhigte ihn,
quälte ihn und machte ihn glücklich.
Dann machte Elena ein paar Schritte nach vorn, ging durch
den Sonnenstrahl, der das Zimmer durchstieß, und Andrej
spürte, wie sich sein Herz zusammenzog. Er wußte nicht, was
sie dachte, spürte aber, wie der Raum zwischen ihnen schmolz;
er nahm die Liebkosung ihres Körpers über die Entfernung hin
wahr, die sie noch trennte. Sie kam zusammen mit einem kaum
wahrnehmbaren Hauch von Parfüm, mit dem Schatten ihrer Wimpern, den feinen Haaren, die sich schon zu Strähnen sammelten, um ihr gleich in die Stirn zu fallen. Sie kam, und ihre Lippen näherten sich, ihre Arme, die noch herabhingen, drängten schon danach, sich nach ihm auszustrecken. Andrej schloß die Augen, und in dieser Erwartung, daß Elena ihn berühren möge, erkannte er, daß er bereit war, alles noch einmal durchzumachen – Hunger und Durst, Schmerz und Einsamkeit. Er bereute
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