Kontaktversuche
verbergen, außer daß ihn meine
Worte verwunderten.
»Hören Sie, wer sind Sie?«
»Ein Mensch…«
»Ein Mensch!« wiederholte ich mit unwillkürlichem Spott.
»Aber der Mensch wird schon bei seiner Geburt registriert…
Er bleibt nicht einfach so bloß ein Mensch! Und hat danach
sein Leben lang Papiere.«
Die Augenscheinlichkeit dessen, was ich redete, war so unbestreitbar, daß es mir wie Hohn klang. Ich war unzufrieden mit
mir: ich durfte mich nicht ärgern.
»Wo wohnen Sie?« fragte ich trotzdem ärgerlich.
»Nirgends…«
»Wissen Sie, was das bedeutet? Bitte, erklären Sie mir, was
nirgends heißt.«
»Nirgends…«
Sein Benehmen wurde nun allmählich albern, es paßte nicht
zu seinem intelligenten Gesicht. So stur waren nur stumpfsinnige, primitive Ganoven.
»Vielleicht haben Sie meine Frage nicht verstanden?« »Ich habe sie verstanden und darauf geantwortet.« Ich beobachtete seine Augen. Sie wunderten sich längst nicht
mehr. In ihnen war eine Gleichgültigkeit erschienen, wie ich
sie bisher selten gesehen hatte. Und dennoch irrte sich der
Milizionär – dieser Mensch war nicht verrückt. Der Mann, der
da vor mir saß, dachte, nur daß seine Gedanken an mir vorbeigingen. Ich war bereit, eine Wette einzugehen, daß er mich
nicht einmal sah.
»Wollen Sie mir wenigstens Ihren Namen sagen?« Er holte tief Luft und sah mich wieder an.
»Andrej.«
»Nur Andrej?«
»Nur Andrej.«
»Gut, Andrej. Alles deutet darauf hin, daß Sie kein ungebildeter Mensch sind. Sagen Sie mir, was mit Ihnen passiert ist.« Er sah mich gleichsam von sehr fern an und gab keine Antwort.
»Wie sind Sie in den Park gekommen?«
»Von der Straße…«
Ich bin ein geduldiger Mensch. Im Unterschied zu Stoitschkow konnte ich mich auch verstellen. Jetzt merkte ich – noch so eine Antwort, und ich würde derart hochgehen, daß die
Leute fortan eine andere Meinung von mir haben würden. »So, von der Straße. Aber warum sind Sie nicht auf irgendein
Dach geklettert, sondern in den Park gegangen?« entfuhr es
mir, und es war mir nun schon schnuppe, was er von mir dachte.
Er lächelte, er hatte das resignierte Lächeln eines Menschen,
der viel durchgemacht und gesehen hat. Aber sein Benehmen? »Ich wollte ausruhen… Hatte den ganzen Tag über eine Bekannte gesucht…«
Stopp! Er war über das Ziel hinausgeschossen, aber er durfte
das nicht merken.
»Eine Bekannte!« sagte ich spöttisch. »Auch so eine wie
Sie… Sicherlich wohnt sie nirgendwo und hat keine Papiere…
Ja?«
»Nein, wieso? Sie hat eine Wohnung… Ich weiß aber den
Namen der Straße nicht. Ich weiß nur, wie man von einer
Konditorei aus zu ihrem Haus gelangen kann.«
Genauso hatte ich’s auch vermutet. Natürlich ahnte er nicht,
daß ich wußte, welche Konditorei das war.
»Können Sie den Weg von der Konditorei zum Haus Ihrer…
Bekannten aufzeichnen?«
»Warum?« fragte er ohne sonderliches Interesse.
»Wie sollen wir sie sonst finden?«
»Sie wollen sie suchen?« Er sprang erfreut vom Stuhl auf.
»Können Sie sie finden?«
So etwas passierte mir zum erstenmal. Nach den widerwilligen und merkwürdig naiven Antworten war seine Freude, daß
jemand gefunden werden sollte, der Auskunft über ihn geben
konnte, beinahe unwahrscheinlich. Aber freute ich mich nicht
zu früh?
»Sie machen mir nichts vor, nein?« fragte er ungeduldig. »So zeichnen Sie doch endlich den Weg auf!« sagte ich
streng. »Oder glauben Sie, ich kann mich nur mit Ihnen befassen?«
Trotz seiner großen Erregung, ja nicht nur Erregung, sondern
geradezu Fiebrigkeit, war seine Hand sicher, er zeichnete ohne
jede Mühe schnurgerade Linien.
»Sie sind Ingenieur, nicht wahr?« fragte ich.
Statt zu antworten, ließ er verzweifelt die Hand sinken. »Sie wissen nicht, wo diese Konditorei ist. Und ich weiß es
auch nicht…«
Wenn er sich bis jetzt verstellt hätte, dann schauspielerte er
genial.
»Schauen Sie mich an!« sagte ich da. »Haben Sie mich irgendwo schon einmal gesehen?«
»Nein.«
»Aber ich Sie schon! Zusammen mit Ihrer Bekannten in
ebendieser Konditorei.«
Ich hatte geglaubt, er würde verlegen werden, aber er atmete
nur erleichtert auf.
»Sie haben vergessen, mir ihren Namen zu sagen«, erinnerte
ich ihn.
»Elena!« antwortete er bereitwillig. »Sie heißt Elena und ist
Lehrerin. Sie wohnt im ersten Stock.«
Ich klingelte, übergab die Zeichnung, erklärte ihnen, was sie
machen und daß sie sich beeilen sollten. Andrej sah mir auf
den Mund und wiederholte gleichsam in Gedanken meine
Worte. Er hatte es
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