Kontaktversuche
entsprechend der Umwelt geschaffen wurde, in der es leben würde? Oder genauer: Es wurde von der Welt geschaffen, in der es entstand?
Der andere lächelte bloß mit den Augen und stülpte die Lippen leicht vor. Seine Brauen wölbten sich nach oben und legten die Stirn in Falten.
»Wenn es nur auf Ihre Wünsche ankäme!«
Er hielt sich wohl für sehr witzig! Er bildete sich ein, einen Scharfblick zu besitzen, der ihm abging, maßte sich das Recht zu richten an, über ihn zu bestimmen… Andrej wollte ihm nicht mehr antworten, konnte sich aber nicht zurückhalten und sagte: »Mir ist schon alles gleich!«
Und da fiel ihm abermals Elena ein, das einzige Wesen, das seinem Leben noch einen Sinn geben und ihn von der nach seiner Umwandlung aufgetretenen tödlichen Einsamkeit erlösen konnte.
»Sie haben mir versprochen, daß ich heute Elena sehen werde.«
Der andere gab keine Antwort.
»Werde ich heute Elena sehen?« fragte Andrej und merkte, wie ihn wider Willen ein immer stärkerer Zorn packte. »Sie sind ein Lügner und Betrüger! Sie behandeln mich ungerecht und grausam!«
Der andere wunderte sich nicht über seinen Zorn und schien seine Worte nicht zu hören. Natürlich paßte es ihm nicht, solche Worte zur Kenntnis zu nehmen, und er zog es vor, sie zu überhören.
Als sich Andrej beruhigt hatte, begriff er, daß sein Zorn umsonst und sinnlos gewesen war. Als hätte es die drei Tage Erdenerfahrung nicht gegeben – und als hätte er nicht gewußt, daß hier nichts leicht zu erreichen war – weder mit Logik noch mit Gefühl. Aber Elena nicht sehen? Lebendig und bebend, mit der in die Stirn hängenden Haarsträhne und dem blauen Äderchen an der Schläfe, von dem eine Anziehungskraft ausging, der er nicht mehr zu widerstehen vermochte? Nein, er mußte sie sehen, selbst um den Preis einer Dummheit, größer als seine Umwandlung zum Menschen.
Er lächelte – noch wußte er nicht, daß er instinktiv die Notwendigkeit begriffen hatte, seine Gefühle und Gedanken zu verbergen – und sagte schlau: »Fragen Sie weiter! Ich werde Ihnen antworten… Ich habe Geduld und will warten, bis Sie von selbst einsehen, daß ich Elena sehen muß!«
Der andere schaute ihn verwundert an.
»Immer noch dasselbe?« erkundigte sich das Mädchen. »Ist nicht wenigstens eine Veränderung festzustellen?«
»Immer noch dasselbe«, erwiderte ich.
Jedesmal, wenn sie zu mir kam, mußte ich an ihre Begegnung mit Andrej denken. Vielleicht übertrieb ich es mit meiner Beobachtungsgabe… Damals, in der Konditorei, war mir am meisten dieses Insichineinhorchen von Andrej aufgefallen, als sei das Mädchen der Kammerton seiner Stimmung. In meinem Zimmer dann fehlte dieses Hineinhorchen. Sie sahen sich an – in Andrejs Augen leuchtete eine beinahe nicht mehr menschliche Freude, während sie verwirrt war, befangen und verlegen, und, statt ihm die Hand zu geben, ihn oberhalb des Ellenbogens am Arm ergriff. Ich erklärte es mir damit, daß eine plötzliche Vorladung in eine Dienststelle wie die unsere viele bestürzen konnte. Aber war es nur das?
Jetzt saß sie vor mir. Ein bißchen dünner geworden, leichte Schatten unter den Augen vor Übermüdung, und zerstreut. Ich wußte, daß sie nicht zerstreut war – so sehen mit unter tief in Gedanken versunkene Menschen aus. Ihre Hände lagen hilflos im Schoß. Sie war ein modernes Mädchen, es wäre übertrieben gewesen zu sagen, daß ihr Rock die Schenkel bedeckte, aber das wirkte aus irgendeinem Grund nicht auf mich. Vielleicht, weil ihr Gesicht nicht zu rechtgemacht war. Vielleicht aber auch aus einem anderen Grund.
Den Tag der Begegnung nicht mitgezählt, kam sie schon zum zweitenmal. Im Korridor war sie Stoitschkow begegnet – sie hatte es, mir nicht gesagt, aber ich wußte es. Sie war erschrocken, schloß schnell die Tür hinter sich und lehnte sich dagegen. Sie hatte Angst, Stoitschkow könnte ihr nachkommen.
»Beruhigen Sie sich! Die Ähnlichkeit ist außerordentlich groß, aber sie haben nichts miteinander gemein. Einfach Doppelgänger.«
Es war überflüssig, ihr zu sagen, daß Stoitschkow soeben bei mir gewesen war. Er billigte ihre Besuche nicht.
»Was bist du denn?« hatte er gefragt. »Kindermädchen?«
»Nein. Warum?«
»Meiner Ansicht nach ist alles längst klar.«
Ihm war alles klar, und da kam er erst jetzt, um mich aufzuklären.
Lieber Himmel, warum bemerken unsere Freunde manchmal so spät unsere Sorgen! Ich sah ihn neugierig an. Er ließ seine Zigarette fallen; er hatte die Gewohnheit, sie
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