Kontaktversuche
gesagt, wir gingen auf den Ausgang zu, es war Tischzeit. Stoitschkow steckte sich eine Zigarette an, und ich fragte mich, was besser wäre: ein kleiner Sliwowitz oder Wodka. Genau in diesem Moment wurde der junge Mann gebracht. Als er Stoitschkow sah, verdunkelten sich seine Augen vor Entsetzen, er machte eine Bewegung, als wollte er sich an die Wand drücken und darin verschwinden, wenn das möglich gewesen wäre. Aber er nahm sich zusammen und kam weiter scheinbar ruhig auf uns zu. Stoitschkow schenkte ihm soviel Beachtung wie seinerzeit sein »Doppelgänger« mir, wenn es einen solchen gab. Eine Eigenschaft, die Stoitschkow nicht besaß, war die, sich verstellen zu können. Ich war überzeugt, daß er diesen Menschen zum erstenmal sah. Überzeugt und gleichzeitig unangenehm im Zweifel, denn der junge Mann kannte ihn nicht bloß, sondern fürchtete sich auch vor ihm.
Das Mittagessen verlief bedrückt – Stoitschkow schwieg, er redete selten bei Tisch, doch dieses Mal wäre es mir aus irgendeinem Grund lieb gewesen, wenn er von der Regel abgewichen wäre. Ich dachte an das Entsetzen in den Augen des jungen Menschen. Schließlich sagte ich: »Hast du gesehen, wie erschrocken dieser junge Mann war?«
»Freilich… Aber wenn du an seiner Stelle wärst…« »Wir fressen doch keine Menschen.«
»Er hat keine Angst vor uns, sondern vor dem, was er getan
hat.«
»Weshalb meinst du, er müßte unbedingt etwas getan haben,
was…«
»Weil er«, fiel mir Stoitschkow ins Wort, »jetzt wie wir in
irgendeinem Lokal zu Mittag essen würde, wenn er nichts
getan hätte!«
Unser Gespräch war wirklich dumm und sinnlos. Ich widersprach nicht. Stoitschkow lehnte sich zurück, brannte eine
Zigarette an und zog mit Behagen daran. Es war das vernünftigste, daß ich mir auch eine ansteckte.
Als ich in die Dienststelle zurückkam, erkundigte ich mich,
was an der Sache dran war. Er war von einem Revier hergebracht worden. Man hatte ihn in der Nacht ohne Papiere im
Park gefunden, und er hatte auf die Fragen des Milizionärs auf
eine Weise geantwortet, daß er ihn für leicht übergeschnappt
hielt. Auf dem Revier hatten sie nicht dahinterkommen können,
ob er sich verrückt stellte oder es wirklich war, und hatten es
für das angebrachteste gehalten, ihn zu uns zu bringen. Ich bat
darum, mich mit ihm befassen zu dürfen, und man kam meiner
Bitte nach.
Ich war ungeduldig. Vielleicht ist es nicht ganz genau, wenn
ich sage: Ich war ungeduldig. Ein seltsames Gefühl hatte von
mir Besitz ergriffen, als stünde mir nicht einfach eine Vernehmung bevor, sondern ein ungewöhnliches Erlebnis. Weshalb
dachte ich das? Ob deshalb, weil ich immer noch auch an
Stoitschkow dachte?
Er wurde hereingeführt. Er trat ein und blieb bei der Tür stehen. Ich merkte sofort, daß er zum erstenmal in so einer Umgebung war. Er war ruhig – nicht diese gespannte, maskierende
Ruhe, sondern das Benehmen eines Menschen, der bloß wartet.
Sein feiner grauer Anzug, in dem ich ihn aus der Konditorei in
Erinnerung hatte, war zerknautscht. Versteht sich, wenn er im
Park geschlafen hatte!
»Setzen Sie sich«, sagte ich. »Rauchen Sie?«
In seiner wortlosen Ablehnung lag Würde, wie man sie bei
den unfreiwilligen Besuchern meines Büros selten sah. Seltsam, ich wußte nichts über ihn, ich kannte bloß das trockene
Protokoll aus dem Revier, wozu natürlich noch meine flüchtigen Eindrücke von unseren beiden Begegnungen kamen, aber
ich fand schon Gefallen an ihm. Ich mußte mächtig aufpassen. »Sie wissen, warum Sie hier sind, nicht wahr?«
Er breitete nur die Arme aus und lächelte.
»Sagen Sie«, fuhr ich mit kaltem, offiziellem Ton fort, »wie
soll ich Ihre Worte verstehen, daß Sie bisher nie Papiere gehabt
haben?«
»Wörtlich«, sagte er vertrauensvoll. »Ich habe bisher nie Papiere gehabt.«
»Und warum haben Sie den Milizionär gefragt, was das ist,
ein Ausweis?«
»Warum fragt man? Damit man eine Antwort erhält, nicht?« Das ging mir gegen den Strich. Der Scherz hätte von mir
kommen müssen, nicht von ihm. Als ich ihn indes aufmerksamer ansah, merkte ich, daß er gar nicht die Absicht hatte zu
scherzen. Da fiel mir die Ansicht des Milizionärs ein. War
dieser Mensch übergeschnappt?
»Warten Sie«, sagte ich. »So kommen wir nicht weiter. Sie
wissen nicht, was ein Ausweis ist – aber Sie sind doch nicht
vom Himmel gefallen. Weshalb verbergen Sie Ihre Dokumente?«
Seine Augen sahen mich unverändert ruhig und offen an –
dieser Mensch hatte nichts zu
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