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Kontrollpunkt

Kontrollpunkt

Titel: Kontrollpunkt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Albahari
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und heiterer Blick besagte etwas ganz anderes. Sie bildeten wohl die Vorhut, vermutete der Kommandant, kam jedoch nicht dahinter, was ihnen folgen sollte – eine neue Zeit, eine neue Hymne oder neue Worte, etwas, was bisher noch niemand gehört hatte. Die jungen Frauen schürzten die Lippen, als wollten sie etwas sagen, schauten einander an und lachten. Warum hatten die Soldaten sie nicht auf dem Friedhof vergewaltigt und dort als Hüterinnen der leeren Gräber und der umgehauenen Kreuze zurückgelassen? Er fühlte sich mit einem Mal stark und dachte, er sollte jetzt am besten die Pistole ziehen und die beiden ohne ein Wort, ohne jeglichen Kommentar erschießen. Für einen kurzen Augenblick legte er sogar die Hand an den Griff seiner Pistole, aber diese sagte: Dass du es ja nicht wagst, ist das klar? Klar, flüsterte der Kommandant und sah sich um: Es wäre schlimm gewesen, hätte jemand bemerkt, dass er sich mit seiner Pistole unterhielt. Man hätte ihn gleich als unberechenbar abgestempelt, was absurd gewesen wäre – verlangt man doch von den Soldaten, ihre Waffen zu lieben und sie als nahe Verwandte zu betrachten. Das nennt man im öffentlichen Leben mit zweierlei Maß messen, dachte der Kommandant, wenn man anderen etwas verwehrt, was man selbst gern tut. Man kann es drehen und wenden, wie man will, das ganze Leben ist keinen Pfifferling wert; immer steht jemand über dir, notiert, was du tust, und macht aus deinem Leben eine lange Liste ähnlich der, die man zusammenstellt, wenn man einmal in der Woche oder alle vierzehn Tage zum Einkaufen geht. Das alles hat natürlich nichts mit dem Militär zu tun, mit dem Militär hat eigentlich nichts etwas zu tun, und dennoch ist das Militär für alle von besonderer Bedeutung. Man kann getrost behaupten, das Militär habe man der Gesellschaft wie ein Kuckucksei untergeschoben, und die Gesellschaft habe das Militär als eine Notwendigkeit akzeptiert, nur dass das Ganze mit Krieg zu tun hat. Der Krieg ist derart unnatürlich, derart anders als alles andere, dass man bei gesundem Verstand nicht begreifen kann, wieso er ein Teil der menschlichen Zivilisation sein soll. Der Kommandant sah sich um – als ein Mann in Uniform müsste er den Krieg wenigstens ein bisschen gernhaben, aber er konnte sich nicht dazu durchringen. Das hätte er gegenüber seinen Soldaten nie zugegeben. Doch genauso wenig würde er sie in dieser Hölle allein zurücklassen. Deshalb wachte er wie ein guter Geist über ihre Vorbereitungen zum Rückzug. Alles sollte so aussehen, als geschähe nichts Außergewöhnliches, denn wer weiß, wie viele Beobachter und Spione ihre Augen auf sie gerichtet hatten. Die Soldaten gingen ihren normalen Verpflichtungen nach, der Koch bereitete Würstchen zum Abendessen vor, der Kommandant drehte am Knopf des Funkgeräts und wiegte den Kopf im Rhythmus der verschiedenen Sprachen, die an sein Ohr drangen. Währenddessen packten die Soldaten ihre Tornister, wobei sie so taten, als kontrollierten sie deren Inhalt oder als sortierten sie ihre Sachen für die Wäsche. Die beiden Mädchen lebten noch, sie saßen auf der Erde, an einen Baum gefesselt, und der Kommandant dachte wieder, dass es für sie nur eine Lösung gebe: einen Genickschuss. Zwar entsetzt über diesen Gedanken, spürte er dennoch, wie seine Hand zuckte und nach der Pistole greifen wollte. Für einen Augenblick berührten seine Finger sogar den Griff, und diese Begegnung der Haut mit dem Metall brannte wie Feuer. Das ist ein Zeichen, dachte er, weiter darf ich nicht gehen. Er sah sich um, aber niemand beobachtete ihn, niemand sagte etwas, jeder machte seine Arbeit und schob seine Sorgen vor sich her. Dann wechselten die Soldaten wieder ihre Stellungen, diejenigen, die ihr e Sachen fertig gepackt hatten, spielten jetzt Wachposten und Beobachter, während die anderen, versteckt hinter irgendwelchen Trümmern und Zeltplanen, die Munition zusammenstellten und ihre Stiefel und Uniformen putzten, als bereiteten sie sich für den Appell vor. Die Nacht senkte sich auf sie nieder wie ein Tischtuch voller Krümel, die sich in Sterne verwandelten, dachte der Kommandant und spürte, dass er sich augenblicklich verlieben könnte. Es ist schon gut, dass Frauen bei uns keinen Militärdienst machen, dachte er, und sein Mund, vorhin noch voller Spucke, war auf einmal pulvertrocken. Der Kommandant stellte sich eine junge Frau vor, die zusammengerollt am Bettrand lag, und wie er sie dazu brachte, sich umzudrehen und ihn

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