Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Kontrollpunkt

Kontrollpunkt

Titel: Kontrollpunkt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Albahari
Vom Netzwerk:
schrie der Soldat, hielt seinen kleinen Spaten in die Luft und fragte laut : Wer ist dafür, dass wir sie mitnehmen? Die Mehrzahl der kleinen Spaten ging hoch. Aber wenn die anderen merken, was wir tun, zog der Kommandant seinen letzten Trumpf, werden sie gleich wissen, dass wir abziehen wollen. Nein, brüllte der nekrophile Soldat, wir tun so, als brächten wir den Friedhof in Ordnung, und da sie fast am Gipfel und wir am Fuße des Berges sitzen, werden sie nicht erkennen, was wir machen. Der Kommandant hob die Hände zum Zeichen der Kapitulation und setzte sich auf den nächstbesten Stuhl. Er konnte nur noch zusehen, wie die »tödlichen Rebellen« zum Friedhof marschierten. Plötzlich war er allein, was ihm sonst immer angenehm gewesen war, nur hatte er das in den letzten Wochen vergessen. Im Krieg vergisst man alles schnell, man empfiehlt sogar den befehlshabenden Offizieren, den Soldaten immer neue Aufträge zu erteilen, nach Möglichkeit solche, die Teamarbeit erfordern, selbst wenn das Team aus nur zwei Soldaten besteht. Es sei wichtig, stand weiter in diesem Befehl, der an alle Offiziere in Kampfuniform herausgegeben worden war, dass keiner sich absondere. Sobald man merke, dass ein Soldat eigene Wege gehen wolle, müsse man ihn um jeden Preis zur Ordnung rufen. Um jeden Preis? Um jeden Preis. Verstanden! Weggetreten! Dem Kommandanten schien, er habe Schüsse vernommen, aber als er die Augen öffnete, war nichts mehr zu hören. Von wegen nichts, fuhr es dem Kommandanten durch den Kopf, denn hinter seinem Rücken knisterten trockene Zweige. Er griff nach seinem Revolver und warf sich zusammen mit dem Stuhl auf den Boden, bereit zu schießen. Als er jedoch Mladen erblickte, der beinahe hysterisch mit den Armen fuchtelte und schrie, gelang es ihm gerade noch, seinen Finger am Abzug zu lockern. Bist du verrückt, rief er Mladen zu, um ein Haar wärst du tot gewesen. Unkraut vergeht nicht, gab Mladen lächelnd zurück, sah sich um und fragte, wo die anderen seien. Auf dem Friedhof, sagte der Kommandant. Alle?, fragte Mladen. Alle, sagte der Kommandant. Wie ist es nur gelungen, sie alle auf einmal zu erledigen?, fragte Mladen. Der Kommandant sagte, er verstehe seine Frage nicht, doch dann wurde ihm klar, wie es zu dem Missverständnis gekommen war. Sie seien alle auf dem Friedhof, sagte er, aber nicht alle tot. Was tun sie da, fragte Mladen, wollen sie Abschied nehmen? Nein, sagte der Kommandant, sie bereiteten sich auf den Transport vor. Auf den Transport, wiederholte Mladen verwundert, hätten sie sich etwa gegenseitig verstümmelt, weil sie den Krieg leid seien, und wollten jetzt den Segen des Krankenbetts genießen? Daraufhin berichtete ihm der Kommandant kurz von einigen der letzten Ereignisse und von dem Entschluss, den Rückzug anzutreten. Ich mag nicht mehr Hase in diesem Jagdrevier spielen, sagte der Kommandant, außerdem sind wir schon auf die Hälfte reduziert, fünfzehn Soldaten haben bis jetzt ihr kostbares Leben geopfert – wofür eigentlich? Kann mir jemand sagen, wofür? Man hörte jetzt aufgeregte Stimmen, darunter auch weibliche. Bald tauchten Soldaten auf, zwei junge Frauen im Schlepptau. Man habe sie, sagte einer der Soldaten, auf dem Friedhof gefunden, der jetzt eher wie eine archäologische Grabungsstätte aus dem Mittelalter aussehe. Was die dort getrieben hätten, wollte der Kommandant wissen, und ob sie überhaupt etwas darüber hätten verlauten lassen, wo wir uns befinden. Wir können sie nicht verstehen, Herr Kommandant, wir glauben, sie sprechen dieselbe Sprache wie jene Flüchtlinge. Der Kommandant brauchte eine Weile, um sich an die Flüchtlinge zu erinnern, aber an deren Sprache erinnerte er sich schon gar nicht. Da erwähnte jemand die Dolmetscherin, woraufhin sich der Mund des Kommandanten zu einem Lächeln verzog, das er unterdrückte, allerdings nicht schnell genug, wenigstens nicht für jene Soldaten, die um ihn herumstanden. Nein, nicht von dieser, von der anderen Seite. Der Kommandant erinnerte sich daran, wie sie ihm unverständliche Worte ins Ohr geflüstert und sie dann mit etwas rauerer Stimme in seiner Sprache wiederholt hatte. Das Bett des Kommandanten war schmal gewesen, und ständig drohte einer von ihnen herauszufallen, aber sie hatte es immer wieder geschafft, sich so zu winden, dass sie das Gleichgewicht hielt. Während er die beiden jungen Frauen vor sich betrachtete, fragte sich der Kommandant, ob auch sie solche Kunstfertigkeiten beherrschten, aber ihr offener

Weitere Kostenlose Bücher