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Kontrollpunkt

Kontrollpunkt

Titel: Kontrollpunkt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Albahari
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ausgesprochen, trat der Kommandant an den Zaun, sprang darüber, und nachdem nichts passiert war, forderte er die Soldaten auf, ihm zu folgen. Einzeln oder paarweise sprangen die Soldaten über den Zaun, und bald lag dieser hinter ihnen. Der Kommandant ging noch einmal zurück, um ihn sich genau anzuschauen. Am liebsten hätte er einen schweren Stein an das eine oder das andere Ende des Zauns geworfen und so eine Explosion ausgelöst, aber dadurch hätte er dem Feind nur gezeigt, wo er sie finden könne. Besser, man wisse nicht, wo sie seien, dachten der Kommandant und die zwei Berater jeder für sich. Es gibt diese kleinen beglückenden Momente vollkommener Harmonie, das war ihnen jetzt klar. Vor ihnen in der Ferne hatte sich der Himmel aufgetan, und durch den Spalt drang eine heitere, wenn auch noch nicht kräftige Morgenröte. Der Kommandant rief Mladen zu sich, befahl ihm, mit noch einem Soldaten zu erkunden, was sich in der Umgebung tue. Ihr habt zehn Minuten Zeit, sagte er, solange die noch nicht dahintergekommen sind, dass wir sie überlistet haben, und alles in Bewegung setzen, um uns zu finden. So war es auch. Zuerst hörte man Schreie und einzelne Schüsse, dann Salven und Granatfeuer. Der Kontrollpunkt, dachte der Kommandant, hat soeben aufgehört zu existieren. Eine Weile noch vernahm man Schüsse, Handgranaten und Raketen, und als der Krach allmählich verstummte, wurde alles von einer starken Explosion erschüttert. Ja, flüsterte der Kommandant, o ja! Das zurückgelassene Magazin mit Waffen und Munition war gerade in die Luft geflogen und hatte, so hoffte der Kommandant, mindestens fünf oder sechs gegnerische Soldaten mit sich gerissen. Hätte ihm jemand prophezeit, dachte der Kommandant weiter, er würde irgendwie, irgendwann, irgendwo jemandes Tod herbeisehnen, hätte er ihm nicht geglaubt, aber er war Soldat und wusste, dass niemand unverändert aus einem Krieg zurückkommt. Zum Glück war er von Menschen umgeben, denen er voll vertraute, so konnte er wenigstens sicher sein, dass man ihn nicht bei den Behörden oder bei der Polizei denunzierte, obwohl man immer auf der Hut sein musste, denn würde ihn jemand wegen offenkundiger Sympathie für unsere vermeintlichen Feinde anzeigen, geriete er, der Kommandant, zweifellos in eine äußerst unangenehme Lage. Da würde ihm nicht einmal ein Exil helfen, egal ob ein erzwungenes oder ein freiwilliges. Wäre nur das Wetter etwas angenehmer, befände er sich schon längst in einem kleinen Ort an einem Ufer. An was für einem Ufer, fragten wir, an einem See oder am Meer? Egal, sagte der Kommandant, egal. Wir entschieden uns für ein Schiff. Das Wetter war sonnig und mild, keiner hatte es eilig, es war warm, es war Juli oder August, alle warteten nur darauf, sich auf den Rücken zu legen und alle viere von sich zu strecken. Der Kommandant zuckte zusammen und bemerkte, dass er ganz allein zurückgeblieben war. Er war hinter einem Strauch eingeschlafen, weswegen man ihn wahrscheinlich liegen gelassen hatte. Sie haben eigentlich keine Ahnung, wo ich bin, dachte der Kommandant, aber sie sind sicher, dass ich wiederkommen werde. Er war immer wiedergekommen, warum sollte er es nicht auch dieses Mal tun? Auf einmal kam Wind auf und trug Gesprächsfetzen zu ihm. Der Kommandant steckte seinen Zeigefinger in den Mund und hielt ihn in die Luft. Ihr Schicksal hing von der Windrichtung ab, dachte er und schritt genau gegen den Wind. Er schlug sich durch ein Gebüsch und fand seine Soldaten um eine Grube versammelt, in der spitze Pfähle steckten, auf denen drei Soldaten aufgespießt waren. Einer von ihnen zuckte noch mit einem Bein, und man hatte Mühe, dem Kommandanten klarzumachen, dass das nur ein verspäteter Reflex der Muskeln und Sehnen war, ähnlich dem bei einem Huhn, das ohne Kopf noch verrückt auf dem Hof herumrennt. Sie seien den Weg weitergegangen, berichteten die Soldaten dem Kommandanten, es habe jedoch keine Anzeichen für eine Falle oder für eine andere Gefahr gegeben. Die Grube befand sich mitten auf dem Weg, so dass früher oder später jemand hineinfallen musste. Aber wer hat sie ausgehoben und wann?, fragte sich der Kommandant. Er hätte alles dafür gegeben, die genaue Antwort zu erfahren, aber das war offensichtlich nicht genug. Die Dinge sind manchmal so viel wert, wie sie schwer sind, manchmal so viel, wie sie lang sind, und manchmal so viel, wie wir sie vermissen. Je mehr wir etwas vermissen, umso teurer wird es, was ein großes Paradox ist. Der

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