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Kontrollverlust - Kontrollverlust

Kontrollverlust - Kontrollverlust

Titel: Kontrollverlust - Kontrollverlust Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Gude
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Röhrenmonitor. Und der Rechtsmediziner Robert Bartmann starrte konzentriert durch die Glasbausteine auf der Westseite der Werkstatt und besprach sein Diktiergerät.
    Warum ignorierten sie ihn? Ob es wohl damit zu tun hatte, dass er anderthalb Stunden zu spät am Tatort erschienen war? Seine Verspätung hatte einen triftigen Grund. Sven Hoven, Rünz’ Vorgesetzter, hatte zur Optimierung der Ermittlungsarbeit einmal mehr in die Innovationskiste gegriffen, und wie alle von Hovens Reformen erfüllte auch diese Neuerung drei Mindestanforderungen: Sie war kreuzdämlich, hochgradig überflüssig und kam mit einem schneidigen Anglizismus daher. Die Idee war, am taufrischen Tatort mit den Verantwortlichen der Rechtsmedizin und der Kriminaltechnik ein Initial-Crime-Scene-kick-off-Briefing zu veranstalten, in dessen Rahmen via Mindmapping und Brainwriting möglichst alle tatrelevanten Umstände und Faktoren dokumentiert werden sollten. Eigens dazu wurde ein Aluköfferchen angeschafft, in dem Edding-Filzer und allerlei buntes Papier in allen möglichen geometrischen Formen bereitlagen, auf denen Ideen und spontane Einfälle notiert und die anschließend an einem Flipchart aufgehängt werden sollten.

    Rünz hatte auf diese Zumutung sofort reagiert – sobald ein Todesfall mit ungeklärten Begleitumständen gemeldet wurde, schickte er seinen Assistenten Wedel schon mal als Vorhut mit dem Alukoffer und dem Flipchart voraus, arbeitete ganz entspannt in seinem Büro an seinem Thriller-Manuskript und erschien dann mit ein bis zwei Stunden Verspätung am Tatort. Aber wo standen diesmal Alukoffer und Flipchart? Auf nichts konnte man sich mehr verlassen.
    »Na? Schon ordentlich die Synapsen rauschen lassen, oder komme ich zu früh?«, rief er Bartmann zu.
    Der Rechtsmediziner ließ das Diktiergerät sinken. »Haben Sie sich diesen Mist mit dem Mindmapping ausgedacht?«, fragte er.
    Der Kommissar schürzte mokant die Lippen. »Nun, ich will mich nicht mit fremden Federn schmücken – es war Hovens Idee. Aber ich unterstütze grundsätzlich seine Strategie, neue Impulse in der Ermittlungsarbeit zu setzen. Lebenlanges Lernen, Herr Bartmann. Wehren Sie sich nicht dagegen, innerer Widerstand macht alles nur noch schlimmer. Hätte gerne teilgenommen an Ihrem Mindmapping, mir ist leider was dazwischengekommen.«
    »Mein Gott, Rünz. Sie klingen, als steckten Sie bis zum Bauchnabel in Hovens Anus. Seit wann sind Sie mit Ihrem Chef auf der gleichen Wellenlänge? Schüttet er Ihnen morgens was in den Kaffee?«
    Rünz fühlte sich nicht ernst genommen. Egal – jetzt war er hier, und es war an der Zeit, das Ruder in die Hand zu nehmen, sich Respekt zu verschaffen. Er würde schließlich die Ermittlungen leiten.
    »Wo ist die Leiche?«, fragte er aus diesem Grund mit energischem Tonfall, breitbeinig den Eingang versperrend, die Hände auf die Hüften gestemmt. Ein Mann, ein Wort, ein Anspruch: Leadership.
    »Und was ist mit dem Typ da hinten an der Werkbank?«, setzte er sofort nach. »Der ist ja bleich wie der Graf von Monte Christo. Warum kümmert sich keiner um ihn?«
    Niemand reagierte, und Rünz wusste nicht so recht, wie lange er seine Alphatierpose noch durchhalten konnte, ohne sich lächerlich zu machen. Zum Glück legte Bartmann sein Diktiergerät ab, zog seine buschigen Martin-Walser-Augenbrauen tadelnd zusammen und starrte Rünz an. »Der Typ an der Werkbank ist die Leiche«, stellte er richtig.
    Rünz schluckte. Na prima, dachte er. Erstklassiger Einstieg. Jetzt nur keine weitere Schwäche anmerken lassen. Wenn der Typ an der Werkbank tot war, warum fiel er dann nicht um? Auch Tote hatten sich schließlich an gewisse Konventionen zu halten.
    »Also gut«, wagte Rünz etwas verunsichert einen weiteren Versuch. »Könnte mich vielleicht mal jemand briefen?«
    »Briefen«, sagte Bartmann spöttisch. »Haben Sie dieses Business-Denglisch ebenfalls von Hoven übernommen?«
    »Und wenn schon«, antwortete Rünz. »Ich finde es wichtig, sich die richtigen Vorbilder zu suchen.«
    Bevor er über einen Ausweg aus seiner peinlichen Situation nachdenken konnte, wurde er unsanft von hinten angestoßen. Drei von Bartmanns Mitarbeitern drängten ihn beiseite, zwei von ihnen trugen die untere Hälfte eines Edelstahlsarges in die Werkstatt und stellten sie in der Mitte des Raumes auf dem Boden ab. Bartmann gab seinen Assistenten ein Zeichen. Zwei stützten den Toten unter den Armen, damit er nicht zusammensackte, und der dritte stemmte das Gewicht

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