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Kontrollverlust - Kontrollverlust

Kontrollverlust - Kontrollverlust

Titel: Kontrollverlust - Kontrollverlust Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Gude
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Giebelwänden auf der planierten Fläche, sie glichen einsamen Stümpfen in einem sonst zahnlosen Mund.
    »Eine der Familien ist in Urlaub, die andere hat Zwillinge, sechs Wochen alt, die haben nachts andere Dinge zu tun, als aus dem Fenster zu gucken. Jemand war an seinem Computer, so viel ist klar. Letzter Schreibzugriff um 18:17 Uhr gestern Abend. Aber heute Nacht um 1:15 Uhr wurden dreiundzwanzig Dateien gelöscht, Rekonstruktion dürfte kein Problem sein, ich nehme die ganzen Unterlagen aus seinem Büro und den PC mit ins Präsidium.«
    »Wovor sollte ein Typ mit solchen Muckis zurückweichen?«, fragte Rünz nachdenklich. »Der hat doch Unterarme wie Popeye!«
    »Vielleicht vor einem Typen mit noch dickeren Unterarmen«, entgegnete Habich.

     

6

    »Hör zu, Schätzchen. Kevin ist nicht überfordert. Er braucht einfach etwas Zeit für die Eingewöhnung. So eine Privatschule ist ein völlig neues Umfeld für ihn. Gib ihm drei Monate, und er wird sich dort fühlen wie Pippi im Taka-Tuka-Land. Das ist die beste Schule im ganzen Rhein-Main-Gebiet, verdammt noch mal.«
    Um ein Haar hätte er statt ›die beste Schule‹ die ›teuerste‹ gesagt. Für ihn war das Teuerste immer das Beste, aber Inge sah das anders. Er legte die Beine auf die Schreibtischplatte und betrachtete mit dem Hörer am Ohr die Fensterputzer, die an dem 70er-Jahre-Hochhaus gegenüber in schwindelerregender Höhe ihrer Arbeit nachgingen. Warum waschen die den alten Turm noch?, überlegte er. Steht doch seit Jahren leer. Einer der beiden Reiniger schien ein ängstlicher Neuling zu sein, er bewegte sich wie in Zeitlupe und hatte ständig eine Hand an der Sicherungsstange.
    Inge jammerte ihm die Ohren voll, ließ eine endlose Litanei vom Stapel, sie redete ohne Punkt und Komma und gab ihm keine Gelegenheit, das Gespräch abzubrechen. Was glaubte sie eigentlich, was er hier den ganzen Tag machte? Auf Anrufe dieser verzweifelten Glucke warten, die ihrem süßen Goldschätzchen das echte Leben nicht zumuten wollte? Manchmal fragte er sich, warum er sich für den Kleinen so engagierte. Er war ja nicht mal sein leiblicher Vater. Kevins Erzeuger hatte er einmal kennengelernt, beim Informationsabend in der Korthoff International School, und er legte keinen Wert auf weitere Kontakte. Worüber sollte er sich mit einem unbedeutenden Darmstädter Bullen unterhalten, der auf dem Luisenplatz Knöllchen verteilte und Fahrradlichter kontrollierte? Dieser Streifenpolizist gehörte zu Inges Vergangenheit. Er hatte seine Vergangenheit, sie hatte ihre. Kein Grund, alles zusammenzumixen.
    Bevor er Inge traf, hatte André Weiler ein klar definiertes Beuteschema, was Frauen anging. Je attraktiver und erfolgreicher, umso besser. Bis er irgendwann merkte, dass er sich mit solchen Frauen nur Stress einhandelte. Diese karriereorientierten Business-Beauties wurden permanent von anderen Typen angebaggert und gaben einem ständig das Gefühl, sie hätten eigentlich einen Besseren verdient, Mister BIG. Inge dagegen war für ihn ein vernünftiger Kompromiss. Sie war ausreichend attraktiv und intelligent, um ihn bei einem Geschäftsessen nicht zu blamieren. Andererseits war sie nicht so schön, dass man sich ständig Sorgen um Nebenbuhler machen musste. Unkompliziert und anspruchslos war sie, solange er seine schmutzigen Socken abends in die richtige Wäschebox warf und nach dem Stuhlgang die Bremsstreifen mit der Klobürste entfernte. Sie hielt den Haushalt in Schuss und wollte sich beim Abendessen nicht mit ihm über den supererfolgreichen Pitch ihrer Werbeagentur für die neue Sixt-Kampagne oder die Werkschau irgendeines französischen Neoimpressionisten in der Schirn unterhalten. Kurzum – eine Frau, die einem Mann nicht auf die Nerven ging, sondern den Rücken freihielt, damit er sich auf wichtigere Dinge konzentrieren konnte.
    Der einzige Misston in diesem pragmatischen Arrangement war ihr Sohn. Mittelschichtkind. Nicht vorzeigbar. Aber wenn der Sorgerechtsstreit durch war und Kevins leiblicher Vater endgültig aus dem Rennen, dann würde er etwas Anständiges aus dem Jungen machen. War nicht unbedingt der Hellste, der Kleine, aber er hatte Potenzial. Solide psychische und körperliche Konstitution. Gutes Rohmaterial, abgesehen vom Vornamen. Vielleicht nur ein klassischer Spätentwickler.
    Inge redete und redete, er musste sie irgendwie abwürgen. In wenigen Minuten würde hoffentlich dieser Kommissar einlaufen, und er musste mit ihm die Details der Sondereinsatzgruppe

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