Kontrollverlust - Kontrollverlust
uns vielleicht vorab darüber verständigen, ob wir für diese Besprechung die deutsche oder die englische Sprache verwenden? Soweit ich weiß, sind alle Teilnehmer deutsche Muttersprachler«, schnarrte Bartmann gereizt, bevor Rünz loslegen konnte.
»Ja schon«, sagte Hoven. »Andererseits sollten wir, was unsere Terminologie angeht, nicht hinter internationale Standards zurückfallen, die sich in den letzten Jahren gebildet haben.«
»Ach, hören Sie mir auf«, ätzte der Rechtsmediziner auf dem Bildschirm. »Zu dieser servilen Unterwerfung der Deutschen unter das englische Sprachdiktat hat schon Winston Churchill den einzig richtigen Kommentar gesprochen: ›Man hat die Deutschen entweder an der Kehle – oder an den Füßen!‹
Touché, dachte Rünz. Dieser Tag war gerettet. Hoven war einen Moment lang sprachlos, dann erlöste ihn seine Audemars Pigeut mit ihrem lieblichen Glockenspiel. Er schob seinen Unterarm unauffällig näher an das Mikrofon heran, damit alle etwas von der akustischen Preziose hatten, doch sein kleines Ablenkungsmanöver ging völlig in die Hose.
»Hören Sie das auch?«, krächzte Bartmann. »Da klingelt was. Hat einer vergessen, sein Handy abzustellen?«
Nachdem Hoven seine Kränkungen verdaut hatte, referierte Rünz lustlos die Faktenlage, und ließ keine Möglichkeit aus, die wenigen Indizien, die auf ein Tötungsdelikt hindeuteten, herunterzuspielen, um die ganze Sache im Lichte eines tragischen Arbeitsunfalles darzustellen. Wenn die anderen gleichzogen, konnte man die Behrens vielleicht dazu bringen, die Ermittlungen zügig einzustellen. Und der designierte Bestsellerautor konnte sich wieder seinem Opus Magnum widmen. Nach seinem Schlusswort herrschte ein paar Sekunden Stille, anschließend ergriff die Staatsanwältin das Wort.
»Da steht noch etwas von technischen Zeichnungen in Ihrem Bericht, die in der Tatnacht vom Rechner des Opfers gelöscht wurden«, wandte sie sich an Rünz.
›Tatnacht‹, ›Opfer‹ – musste sie immer so dramatisieren?
»Ach ja«, ergänzte der Kommissar dienstbeflissen. »Hatte ich vergessen zu erwähnen. Wahrscheinlich eine Sonderanfertigung für irgendein Maschinenbauunternehmen in der Region, wir recherchieren das noch. Ich sehe da derzeit keinen Zusammenhang.«
»Könnte auch eine Lafette sein, für eine großkalibrige Waffe«, unterbrach ihn Wedel. »Meint jedenfalls ein Maschinenbau-Professor von der Uni.«
Ja, verdammt, oder eine Abschussrampe für eine Atomrakete, dachte Rünz. Mach bloß so weiter, du debiler Bodybuilder, und die Behrens brummt uns Überstunden auf, bis wir Pickel kriegen!
»Pure Spekulation, Frau Behrens«, kalmierte der Kommissar.
»Prima, danke, Herr Rünz. Sehr aufschlussreich«, sagte Hoven.
Der hat nicht eine Sekunde zugehört, dachte Rünz. Hoven hatte während Rünz’ Vortrag eine Fotocollage auf dem Whiteboard abspielen lassen, Tatortfotos, Luftbilder, Kartenausschnitte. Als ginge es hier um den Diavortrag über die Afrikareise irgendeines Outdoorfreaks. Sicher hätte Hoven gerne noch ein paar dräuende Streichertakte aus einem Movie-Soundtrack von Hans Zimmer beigesteuert. Inhalt war nichts, Form war alles.
Jetzt war Bartmann an der Reihe. »Schmucker hat einen spinalen Schock durch inkomplette Rückenmarksläsion zwischen Th5 und Th6 erlitten –«
»Ich mag das, wenn Sie so mit uns reden«, unterbrach ihn die Staatsanwältin. »Es zeigt mir, dass Sie uns ernst nehmen, und nicht für irgendwelche Hinterwäldler halten, denen man die Welt in Babysprache erklären muss. Für solche Gesundheitsmagazin-Praxis-Glotzer.«
Puh, die Behrens hatte ja mal wieder eine blendende Laune. Die würde ihnen noch richtig einheizen wegen diesem blöden Schlosser. Rünz fühlte die Felle davonschwimmen, was den Abschluss seines Manuskripts rechtzeitig zur Buchmesse anging.
»Ja ja, schon gut«, knurrte Bartmann in die Kamera. »Also nochmal die Joe the Plumber-Version: Die Stahlspitze ist zwischen fünftem und sechstem Brustwirbel eingedrungen und hat das Rückenmark beschädigt. Ich kann ihnen das mal zeigen …«
Der milchigweiße Geist auf dem Bildschirm bewegte sich, gruschelte herum und schien irgendetwas vor die Kamera zu halten; Rünz tippte auf einen Anatomieatlas. Herrlich old-fashioned, dieser Bartmann.
»Sehen Sie, hier ungefähr«, referierte der Rechtsmediziner, und Rünz sah nichts als einen dicken, unscharfen Zeigefinger auf einem großen, unscharfen Bild. Die ganze Vorstellung wirkte wie eine bizarre
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