Kontrollverlust - Kontrollverlust
Fruchtbarkeit vorzutäuschen – was für ein vergebliches Unterfangen. Sie verströmte mit ihrer Lesebrille, über deren Rand sie gerne tadelnde Blicke in die Runde schoss, den spröden Charme einer strengen Gouvernante. Und sie war der einzige Mensch, in dessen Gegenwart Hoven unsicher wirkte.
»Wenn Sie mal Beratung brauchen, was die richtige Körbchengröße angeht, wenden Sie sich bitte an mich, Herr Wedel«, sagte die Staatsanwältin, ohne vom Ermittlungsbericht aufzublicken. Rünz’ Assistent stellte peinlich berührt sein Posing ein. Die Staatsanwältin peilte über den Rand ihrer Brille zu Hoven, der sich ein heftiges Wortgefecht mit dem IT-Experten lieferte. »Können wir loslegen, Herr Hoven?«
»Klar, sofort, einen Moment noch …«
»Herr Hoven, vielleicht lassen Sie Ihren IT-Mitarbeiter das Problem alleine lösen, und wir fangen einfach schon mal an. Was halten Sie davon?«
»Entschuldigen Sie die Verzögerung, Frau Behrens. Ich bin sicher, wir haben beide gleich auf dem Display.«
»Warum haben sich die beiden nicht ins Auto gesetzt und sind nach Darmstadt gekommen?«, fragte die Staatsanwältin mit spöttischem Unterton, während sie im Ermittlungsbericht weiterblätterte. »Wiesbaden und Frankfurt sind ja nicht sooo weit entfernt.«
Rünz beugte sich zu seiner Sitznachbarin herüber. »Weil er Ihnen dann nicht sein neues Whiteboard vorführen könnte«, flüsterte er. Sie schmunzelte. Hoven schickte einen giftigen Blick herüber, er sah es nicht gerne, wenn Rünz sich nicht an die Befehlskette hielt und direkt mit der Staatsanwältin tuschelte. Seltsam, wo er doch sonst so auf flache Hierarchien und Lean Management stand.
Plötzlich tat sich etwas auf dem Display, Sybille Habich erschien in einem Subfenster am linken Bildschirmrand, Bildqualität und Auflösung waren hervorragend. Sie waren sogar so gut, dass alle Beteiligten die verheerenden Spätfolgen dilettantischer plastischer Chirurgie exakt studieren konnten. Sie saß im Labor des kriminaltechnischen Institutes, im Hintergrund stand allerlei Analysegerät herum.
»Wir haben Sie drauf, Frau Habich. Wie sieht’s bei Ihnen aus?«, fragte Hoven in lässigem Heldenbariton in sein Headset-Mikrofon, wie der Missionschef im NASA-Kontrollzentrum in Houston, dessen Astronautencrew gerade aus dem Funkschatten des Mondes flog.
»Perfekt, von mir aus können wir loslegen«, sagte die Kriminaltechnikerin.
Dann passierte auch auf der rechten Seite des Screens etwas. Anfangs sah man nur unscharf die Innenfläche einer Hand, der Rechtsmediziner versuchte offensichtlich erfolglos, die Webcam auf seinem Monitor zu befestigen, und fluchte dabei ohne Unterlass. »Scheißtechnik. Videokonferenz. Auf so einen Mist kann nur dieser Hoven kommen. Standesdünkel bis Oberkante Unterlippe, keinen Schimmer von Ermittlungsarbeit, aber den High-Tech-King machen …«
»Die Audioverbindung ist perfekt, Herr Bartmann«, rief Hoven eilig, um weiteren Peinlichkeiten vorzubeugen. Rünz biss sich aufs Fingergelenk, um nicht laut loszulachen. ›Standesdünkel‹ – klang etwas altbacken, traf aber genau ins Schwarze. Bartmanns Selbstgespräch ging unbeeindruckt weiter, aber jetzt schien er einen Plan zu haben für sein Kamerabefestigungsproblem.
»So, jetzt machen wir das ganz einfach –«
Man sah wieder nur seine Handfläche und hörte das charakteristische Ratschen einer Tesarolle, kurz darauf noch einmal viel Gewackel. Endlich nahm der Forensiker die Hand vom Objektiv und zeigte sich den anderen Teilnehmern.
Merkwürdig – sein Gesicht und der Hintergrund sahen milchig verschwommen aus, wie durch den Weichzeichner eines Softpornos aus den Siebzigern gedreht. Eigentlich genau die Form von Bildverfremdung, die Habichs Gesicht gutgetan hätte, dachte Rünz. Dann verstand er – Bartmann hatte den Tesastreifen versehentlich quer übers Objektiv gezogen.
»Na also, geht doch! Hören Sie mich?«, fragte der Rechtsmediziner.
»Klar und deutlich, Herr Professor Bartmann. Schon seit einigen Minuten.« Hoven konnte sich die Spitze nicht verkneifen. »Prima, damit können wir unser Meeting offiziell eröffnen. Sie wissen alle, worum es geht. Herr Rünz, wenn Sie uns als Startimpuls vielleicht einen Round-up über den aktuellen Ermittlungsstand im Umfeld des Opfers geben würden. Herr Bartmann könnte anschließend einen kurzen Abstract der forensischen Ergebnisse liefern, Frau Habich versorgt uns mit Input über ihren kriminaltechnischen Survey.«
»Könnten wir
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