Kontrollverlust - Kontrollverlust
ein Thriller«, legte er selbstbewusst los, ganz Missionar in eigener Sache. »Ein knallharter Wissenschaftsthriller, um genau zu sein.« Rünz schaute den Agenten herausfordernd und direkt an wie ein US-Staranwalt die Jury beim Schlussplädoyer. »Aber mehr als das. ›Amok‹ ist ein literarisch ambitioniertes Echtzeit-Thrillerdrama mit Regionalbezug, aber gleichzeitig ein psychologischer Entwicklungsroman, eingebettet in eine romantische Liebesgeschichte, die in der Zukunft spielt. Also quasi auch ein klassischer Frauenroman im Gewand eines intellektuell anspruchsvollen Science-Fiction-Mystery-Reißers, der speziell das junge Publikum mit ansprechen dürfte. Und natürlich, schon allein durch den solide recherchierten historischen Hintergrund und die topaktuellen politischen Bezüge, die Kriegsgeneration, die Best-Ager, die 68er, die Babyboomer und die Generation Praktikum – ich rede hier schließlich über fesselndes, frivol-erotisches Histotainment mit Dokufiction-Charakter.«
Rünz beugte sich nach vorne und riss enthusiastisch die Augen auf, um seinem Vortrag mehr Verve zu geben. »Diese als Melodram getarnte, satirisch zugespitzte Action-Burleske ist nicht nur für Krimifreunde interessant, die können Sie in Ihrer Reihe ›Freche Frauen‹ genauso positionieren wie in den Sparten ›Boulevard‹ oder ›Zeitgeschichte‹.«
Rünz überlegte kurz, ob er bei seiner Kurzbeschreibung irgendeine Belletristik- und Sachbuchsparte oder -zielgruppe vergessen hatte, und legte schnell noch mal nach. »›Amok‹ ist übrigens ein revolutionärer Grenzgang zwischen Lyrik und Prosa«, schob er schnell nach. »Und hatte ich erwähnt, dass die ganze Geschichte eingebettet ist in eine mythisch-romantische Vampirsaga?«
Dann lehnte er sich entspannt und selbstzufrieden zurück. Leichter konnte man einem Agenten die Entscheidung für ein Manuskript doch kaum machen. Wann holte der endlich einen Verleger an den Tisch? Der Agent schaute betroffen zu Boden, setzte seine Brille ab und massierte sich die Schläfen mit den Fingerspitzen, als litt er an einem scheußlichen Migräneanfall. »Ziemlich breit angelegt, Ihr Projekt«, stöhnte er schließlich resigniert. »Ziemlich breit angelegt …«
36
Mehrmals warf sich Wedel vergeblich gegen die verschlossene Tür, bis seine Schulter schmerzte. Der Bürotrakt war zum Flur hin mit einem großen Glaselement abgetrennt, eine milchigweiße, semitransparente Klebefolie diente als Sichtschutz. Wedel begann hektisch, an einer Ecke des Rahmens die Folie ein Stück weit abzuziehen. Nach ein paar Sekunden hatte er eine kleine Öffnung frei, spähte hindurch, sprang sofort wieder auf und rannte den Flur entlang, bis er in einem der Nachbarräume einen Feuerlöscher gefunden hatte. Er sprintete zurück, holte im Lauf aus und schmetterte den Boden der roten Metallflasche gegen die Glasfläche. Sie zersprang wie die Windschutzscheibe eines Autos in tausend Teile, ohne zu zerbersten. Wedel holte noch zweimal aus, ohne Erfolg. Er ließ den Feuerlöscher fallen, nahm sein Handy aus der Tasche, wählte Rünz’ Nummer und sah sich, während er das Telefon an sein Ohr gepresst hielt, weiter in den Fluren und leer stehenden Räumen um. Er wusste nicht, wonach er suchte, aber er würde es wissen, wenn er es gefunden hatte.
37
Brecker setzte sich Ohrenschützer auf, der Lärm war kaum erträglich. Das Adrenalin in seinen Adern hatte ihn hellwach gemacht. Das Laufbündel war auf Nenndrehzahl, aber die Hydraulikpumpe hatte noch nicht genügend Druck aufgebaut, um eine zuverlässige Funktion der Munitionszuführung zu gewährleisten. Mit einer Hand an der Kupplung der Drehmechanik und der anderen an der Entriegelung der Munitionszuführung starrte er gebannt auf den Zeiger des Manometers, der sich quälend langsam an der Skalierung emporarbeitete. In wenigen Sekunden konnte er loslegen. Dann hörte er die Schläge, gedämpft durch seinen Gehörschutz und den Lärm des rotierenden Laufbündels. Er drehte den Kopf und sah die ersten Risse in der Glasscheibe.
38
Als Rünz die Taunusanlage überqueren wollte, schob sich dem Kommissar die Kühlerhaube eines Taxis in den Weg. Die rechte Fondstür öffnete sich, eine schlanke, große Mittdreißigerin in einem puristisch geschnittenen, grau melierten Mantel aus Wollfilz, Strickleggings und Ankleboots stieg aus. Rünz schaute sie giftig an, sie hatte sich schließlich einem
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