Kontrollverlust - Kontrollverlust
Luftröhre. Und wenn sich diese Friedenspfeife angesichts dieser Maßnahmen immer noch nicht wehrt, dann –
So unrecht hatten seine Frau und die Paartherapeutin nicht gehabt, dieses Dalai Lama löste tatsächlich starke emotionale Reaktionen in ihm aus. Nur wohl nicht solche, wie sie sich die beiden Damen erhofft hatten. Zur Ablenkung versuchte Rünz, sich vorzustellen, wie dieser asiatische Dauerlächler nach seiner täglichen Bühnenperformance seine dunklen Seiten auslebte, wenn er nicht mehr vor seiner treudoofen, harmoniesüchtigen deutschen Anhängerschaft Einklang und Frieden predigte. Vielleicht besuchte er an seinen Auftrittsorten nach der Show noch SM-Studios, getarnt mit Vokuhila-Perücke, Ray-Ban-Sonnenbrille und Trenchcoat. Vielleicht nahm er auf seinen Reisen auch gut transportable Haustiere mit – Hamster oder Wellensittiche –, die er spätabends im Hotelzimmer auf einem kleinen Elektrogrill röstete und zu den ›Sexy Sport Clips‹ auf DFS als Snack knabberte. Solchen Typen war alles zuzutrauen.
Der Kommissar war schon geladen gewesen, als er die Commerzbank-Arena betreten hatte. Seine Frau hatte während der Hinfahrt ausgiebig über sein exaltiertes Outfit gelästert, mit dem er sich für den anschließenden Besuch der Buchmesse präpariert hatte. Doch der Kommissar war im Nachhinein heilfroh über seine Maskerade; er konnte sich unmöglich erlauben, auf dieser Dalai-Lama-Veranstaltung von einem Bekannten entdeckt zu werden. Er hatte einen Ruf zu verlieren.
Zur Einstimmung bestand seine Frau auf einer Shoppingtour durch die ›Asian Spirit Expo‹, eine improvisierte Einkaufsmeile in der Verlängerung des Haupteinganges der Arena, bestehend aus weißen Pagodenzelten, in denen man allerlei buddhistischen Esoterik-Nippes und Schnickschnack erwerben konnte, Statuen, die ausschauten wie Brecker beim Saunagang, Seidenschals, Umhänge, Tees, Räucherkerzen. Rünz war in der Stimmung für einen Trostkauf, er fragte einige der Standbetreiber nach asiatischen Nahkampfwaffen – Nunchakus, Wurfsternen, Samuraischwertern. Nach einigen befremdeten Reaktionen der Händler und giftigen Blicken seiner Frau stellte er seine Marktforschung wieder ein.
Die Show selbst übertraf seine schlimmsten Befürchtungen, aber was war bei diesem Motto – ›eine Welt, ein Geist, ein Herz‹ – auch anderes zu erwarten. Er saß inmitten tausender Lama-Adepten, die dem Großmeister jede Silbe von den Lippen ablasen und in kollektiver Regression lächelten wie frisch gestillte Babys.
Mindestens ebenso unerträglich wie die orangefarbene tibetische Harmoniemaschine auf der Bühne und ihre Fans auf dem Rasen war die Anbiederei der hessischen Volksvertreter. Roland Koch, der ja jeden Wettbewerb im Zerknirscht-Dreinschauen haushoch gewann, schaute noch etwas zerknirschter drein als sonst. Aber als Vollprofi im Politbusiness konnte er sich unmöglich die Gelegenheit entgehen lassen, neben seiner Heiligkeit vor den Kameras zu stehen. Ein politisch ambitionierter Mensch, der öffentlich diesen Unangreifbaren kritisierte, würde in Deutschland nicht mal in den Vorstand eines Schrebergartenvereins gewählt.
Mein Gott, dachte Rünz, was wäre das für ein Schauspiel, käme jetzt Buffalo Bill mit seinen kampferprobten Recken herein, mit seinen Gatling Guns brächte er den Kongress zum Tanzen, und seine Rodeoreiter würden die panisch herumspringenden glatzköpfigen Mönche mit dem Lasso einfangen.
Rünz schaute nach rechts, seine Frau saß im Schneidersitz neben ihm, nicht ansprechbar, mit seelig-verzücktem Gesichtsausdruck. Er drehte den Kopf, spähte nach Nordosten über die Tribüne. Oben, vom Rang aus, hätte er jetzt eine prima Sicht auf die Frankfurter Skyline. Er wusste, dass Wedel dort gerade recherchierte. Irgendeiner absurden Fehlermeldung zufolge hatte Brecker in einem der Hochhäuser an der Taunusanlage eine Bürofläche angemietet. Wedel sollte die Lage vor Ort checken und würde sicher gleich telefonisch durchgeben, dass die Info eine Luftnummer war. Rünz hatte sein Handy bewusst auf volle Lautstärke gestellt, so konnte er einen kleinen akustischen Kontrapunkt zur Dalai-Lama-Vorstellung setzen. Wie damals, beim Keith-Jarrett-Konzert in der Alten Oper.
Bis dahin galt es, die Zeit irgendwie sinnvoll zu nutzen. Eigentlich die ideale Gelegenheit, ein paar Stichpunkte für die Kontaktanbahnung mit den Verlagsleuten und Literaturagenten vorzubereiten. Er nahm Block und Stift aus seiner Jackentasche.
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