Kontrollverlust - Kontrollverlust
Businessplans konzentrieren. Rünz hatte beschlossen, sich einige der Ideen und Ansätze seines Chefs zu Herzen zu nehmen – nicht was seine Tätigkeit im Präsidium anging, sondern für die Vermarktung seines Manuskriptes. Professionelles Auftreten war wichtig. Und Networking. Nichts ging über persönliche Beziehungen. Was sein Äußeres anging, hatte er sich nach langem Kopfzerbrechen – und zum Amüsement seiner Frau auf der Hinfahrt – für eine Kombination aus Jean-Paul Sartre und dem frühen Peter Handke entschieden. Er trug eine abgewetzte Breitcordhose aus dem Second-Hand-Laden, alte Schnürstiefel, die aus der Requisite eines Heimatfilms aus den Fünfziger Jahren zu stammen schienen, eine bei jeder Bewegung knarzende Knautschlack-Lederjacke aus den Siebzigern über einem schwarzen Rollkragenpullover, und eine Nickelbrille vom Flohmarkt – mit so dicken Gläsern, dass er kaum geradeaus gehen konnte, ohne seekrank zu werden. Seine Pupillen schauten für seine Gesprächspartner aus wie die Augäpfel eines Riesenkalmars. Sein schütteres Haupthaar hatte er sich in weiser Voraussicht seit mehreren Wochen nicht schneiden lassen und seit einem knappen Monat nicht mehr mit Shampoo in Kontakt gebracht. Es hing in fettigen, schuppigen Strähnen über der abblätternden schwarzen Kunstlederschichtung seines Jackenkragens. Eine gewisse weltfremde, entrückte und exaltierte Aura hatte ja noch keinem Debütanten geschadet. Ließ sich sicher glänzend vermarkten, ein Autor war schließlich ein Gesamtkunstwerk, sein Manuskript nur ein Teil davon.
Rünz fühlte sich wohl hier in der Halle 1 des Messegeländes, einem separierten Bereich, in dem Literaturagenturen und Verlage etwas abseits des Messebetriebes Autoren die Möglichkeit zur Kontaktaufnahme boten. Hier gehörte er hin, nicht in die großen Messehallen mit ihrem Massenbetrieb, wo Gisela Schrullinger dem Auftritt von Anna Gavalda entgegenfieberte. Hier war er Profi unter Profis.
Der Literaturagent hatte eine Vollglatze, war von den Strümpfen bis zum Brillengestell in Grau gekleidet, sein knallrotes Seidenschälchen wirkte wie ein Leuchtturm im Küstennebel. Diese Leute aus den Kreativbranchen trugen immer neckische Schälchen, die waren ja ständig leicht verschnupft. In der Rechten hielt er ein Kommunikations-Sandwich aus einem Blackberry und einem klassischen Moleskine-Notizbüchlein mit grünem Ledereinband und chamoisfarbenem Papier, dessen Verschlussgummi er fortwährend ungeduldig gegen den Einband knallen ließ.
Rünz starrte ihn nach seiner diplomatischen Startoffensive – er hatte mehrfach seine über zwanzig Jahre Berufserfahrung in der Mordkommission erwähnt – erwartungsvoll durch seine Glasbausteine an.
»Wissen Sie«, sagte der Agent nach einigen Sekunden Bedenkzeit, »eine handfeste Recherche ist die eine Seite. Aber Ihr Skript braucht mehr. Die Plot points müssen stimmen, und ohne Human Interest geht gar nichts. Dieser Special Agent Vince Stark – was treibt der so in seinem Privatleben?«
Der Agent setzte den Namen des Protagonisten in imaginäre Anführungszeichen, als wäre die Figur nicht ganz ernst zu nehmen.
»Na ja, Frauen aufreißen, Autofahren, Komasaufen – das, was Männer gerne machen!«
»Und die ganze Räuberpistole spielt in – wie heißt das Nest noch – Darmstadt ? Sollte man da nicht eher einen Medizinthriller ansiedeln, ein Mordkomplott unter Proktologen, ›Tödliche Darmspiegelung‹ oder so was Ähnliches?«
Der Literaturagent gluckste vergnügt, er bekam sich gar nicht mehr ein über seinen kleinen Scherz. Rünz gehörte nicht gerade zu den Lokalpatrioten der Heinerstadt, aber was zu weit ging, ging zu weit. Er schmollte, schaute finster und beleidigt drein, bis sich sein Gesprächspartner wieder beruhigt hatte.
»Nichts für ungut«, entschuldigte sich der Agent, um wieder zur Sache zu kommen. »Thrillergenre also«, murmelte er nachdenklich, mit skeptischem Unterton, als würden sich Thriller derzeit so gut verkaufen wie schmutzige Unterhosen. Auf diesen Moment hatte Rünz gewartet. Er war präpariert. Vor dem Termin hatte er einige einschlägige Fachmagazine aus der Verlagsbranche studiert und sein fundiertes Hintergrundwissen in der Commerzbank-Arena noch fix zu einem knappen und überzeugenden Statement kondensiert. Hoven hatte nicht ganz unrecht – Positionierung war alles. Und gut aufgestellt musste man sein, mit einem breiten Portfolio , damit man auf Augenhöhe verhandeln konnte.
»Ja,
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